Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

6 Ernst Laubach nen Streitfragen noch kaum tangiert seien und daher zu ihrer Lösung wenig beitragen könnten, und man glaubte offenbar, daß sie mit Hilfe der im Reich verfügbaren theologischen Kapazitäten entschieden werden bzw. die Entscheidung in die richtige Richtung gelenkt werden könne. Darum sollten nach den Vorstellungen der Reichsstände alsbald die er­fahrensten Sachverständigen, vor allem Universitätstheologen, mit der Zusammenstellung von Materialien für die Beratung des „Nationalkon­zils“ beauftragt werden, damit das Entscheidungsgremium zügig zu ar­beiten imstande sei; als der Beschleunigung dienlich wurde sogar ange­regt, die Sachverständigen auf Reichskosten an einer Hochschule zusam­menzuziehen 24). Neben den theologischen Problemen sollten sowohl die Gravaminaliste von 1523 als auch weitere Klagen gegen geistliche Stände auf die Tagesordnung gesetzt werden 25 *). Eine völlig neue Idee war der Vorschlag, ein „Nationalkonzil“ zu ver­anstalten, 1524 freilich nicht, er war auch im 15. Jahrhundert gelegent­lich aufgetaucht, hatte jedoch im Reich keine Realisierung gefunden. So­weit ich sehe, ist der Terminus erstmalig faßbar im Abschied des Frank­furter Reichstages von 1445 2G). Angesichts des Streites zwischen Papst Eugen IV. und dem Basler Konzil, der die Abstellung der im Reich laut gewordenen Beschwerden über kirchliche Mißstände blockierte und auch wieder ein Schisma provoziert hatte, wurde der König (Friedrich IV.) beauftragt, eine „gemeine versampnunge der Germanischen kirchen ader ein concilium nationale“ herbeizuführen27), wobei die beiden Benennun­24) RTA JR 4 202 f. Die letzte Anregung wurde nicht weiterverfolgt. Keines­falls kann man aus diesem Diskussionsbeitrag folgern, daß die Sachverständi­gen die Entscheidungsinstanz bilden sollten; Borth Luthersache 147 Anm. 138 und 155 Anm. 209 legt ihr viel zu großes Gewicht bei. 25) RTA JR 4 501 Z.12 ff. 28) So auch Albert Werminghoff Nationalkirchliche Bestrebungen im deutschen Mittelalter (Stuttgart 1910) 111; vgl. auch Ernst Schubert König und Reich (Göttingen 1979) 239 Anm. 77. In den von Karl Beer Der Plan eines deutschen Nationalkonzils vom Jahre 1431 in MIÖG Erg. 11 (1929) ange­führten Belegstellen habe ich den Terminus noch nicht gefunden; es handelte sich um das Projekt einer Synode der deutschen Bischöfe. — Von den sog. „Na­tionalkonzilien“ des frühen und hohen Mittelalters (z. B. fränkische Reichs­synoden) sehe ich ab; dazu Willibald Plöchl Geschichte des Kirchenrechts 2 (Wien—München 2i962) 126 und Anton Joseph Binterim Pragmatische Ge­schichte der deutschen Concilien vom vierten Jahrhundert bis zum Concilium von Trient 1 (Mainz 21851) 99 f, 209 f. Die letzte von Binterim als „National- konzil“ vor 1500 bezeichnete Versammlung deutscher Bischöfe fand 1287 in Würzburg statt (unter Teilnahme weltlicher Fürsten sowie polnischer und böh­mischer Prälaten) und stand unter dem Vorsitz eines päpstlichen Legaten; eben­da 5 9, 41; vgl. Albert Hauck Kirchengeschichte Deutschlands 5/1 (Leipzig 1911) 462. 27) Hierzu und zum folgenden Deutsche Reichstagsakten [Ältere Reihe] [= RTA ÄR] 17, hg. von Walter Kaemmerer (Göttingen 1963) 778 f. Adolf Bachmann Die deutschen Könige und die kurfürstliche Neutralität (1438—

Next

/
Oldalképek
Tartalom