Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

HUMMELBERGER, Walter: Ein wallonisches Pasquill über die Türken vor Wien im Jahre 1683

270 Walter Hummelberger lieh ,erwartet (man) gewiß nicht von einem Lütticher in dessen einfacher Sprache eine der glänzendsten Episoden der Kriegs- und Religionsge­schichte des 17. Jahrhunderts dargestellt zu finden*. Die Maße des origi­nalen Einblattdruckes in der Art einer Kundmachung sind mit 34 cm hoch und 27,5 cm breit angegeben4); der 282 achtsilbige Zeilen umfas­sende, einfach gereimte Text ist in vier Kolonnen gegliedert. Autor und Druckort sind anonym, und es können nur begründete Hypothesen an- geboten werden; eine beweisbare Zuordnung ist nicht möglich. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann Lüttich (Liége) wegen des fehler­freien Druckes in wallonischem Dialekt als Entstehungsort angenommen werden. Für die auch von Grégoire — mit Fragezeichen allerdings — übernommene Vermutung Hausts, daß Wien der Druckort gewesen sein könnte, ließe sich lediglich damit argumentieren, daß die Existenz des Pasquills bis zur Auffindung dieses Exemplars in der Lütticher Region (pays liégeois) unbekannt war und daß es sich als Unikum in den Ar­chiven der polnischen Königsfamilie* erhalten hat. Nun ist die Benedik­tinerabtei in Thorn, von wo das obgenannte Konvolut herrührte, ungleich näher bei Lüttich gelegen als bei Wien, und auch der Nachlaß einer Äbtis­sin, selbst wenn sie eine sächsische Prinzessin war, kann schwerlich als Teil des sächsischen Hausarchivs bezeichnet werden. Dagegen erscheinen zwei Aspekte zur Person des anonymen Autors von großer Wahrscheinlichkeit: erstens, daß der Verfasser als schreibkundiger Soldat im Rang eines Sub­alternoffiziers diente; zweitens, daß er die Relation du siége de Vienne par un officier de la garnison 5 *) gekannt hat. Die Reinschrift dieses Be­richtes, den Ferdinand Stöller8) sehr überzeugend dem Oberstleutnant Johann Georg von Hoffmann zugeschrieben hat, könnte des Umfanges wegen und wie in der Praxis üblich von einem rangniedrigeren Offizier, in diesem Fall eben dem Anonymus, angefertigt worden sein. Grégoire bringt in seiner abschließenden Arbeit über das Paskeille wallone7) eine Anzahl von Beispielen der Konformität zwischen der Relation und dem Pasquill. Der angesehene Militärhistoriker Ferdinand Stöller wertete die­sen Bericht (Relation) an Herzog Karl von Lothringen, den Oberbefehls­haber des kaiserlichen Heeres, wegen der darin enthaltenen Detailanord­4) Haust Une „Paskeille“ 15. 5) Ferdinand Stöller Neue Quellen zur Geschichte des Türkenfahres 1683 (MIÖG Erg. 13/1, 1933) 128—138 (Transkription). Vgl. auch Johann Georg von Hoffmann. Bericht über die Belagerung der Stadt Wien im Jahre 1683, von einem Offizier der Garnison. Hg. von Stefan Hofer in Jahresbericht des Realgymnasiums der Theresianischen Akademie in Wien 1936/1937 (Wien 1937) 3—17. Vgl. Sturminger Bibliographie nn. 1571, 2792. °) Stöller Neue Quellen 7 ff. 7) Henri Grégoire Une Paskeille wallone sur la délivrance de Vienne 1683 in Bulletin de la Classe des lettres et des sciences morales et politiques et de la Classe des Beaux-Arts 5/23 (Ac. Royale de Belgique, Bruxelles 1937) 160—183.

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