Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)
DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)
Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 249 Aber es blieb bei der Anregung. Ende 1921 machte sich Burgtheaterdirektor Wildgans die Kompetenzansprüche des Innenamtes zunutze, um sich auf diese Weise einer dem Burgtheater lästigen Verpflichtung, der- zufolge ein bereits angenommenes Stück aufgeführt werden sollte, zu entledigen36). Das Innenamt argumentierte und rechtfertigte sein Auftreten damit, daß die Hoftheaterzensur seinerzeit nicht dem Landeschef, sondern einer obersten Instanz zugewiesen worden war, der in der Republik das Innenamt (Bundesministerium für Inneres und Unterricht, Innenamt) entsprach. Die Frage war nur, ob und wie diese Behörde gegen ordnungsgemäß erteilte Aufführungsbewilligungen einschreiten konnte. Als im Frühjahr 1920 die Renaissancebühne die Pfarrhauskomödie, deren Aufführung durch das Kleine Theater in Berlin einen großen Skandal ausgelöst hatte und deswegen verboten worden war, als „geschlossene Vorstellung“ herausbringen wollte, protestierte eine Reihe von Abgeordneten in der Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung am 4. März gegen die vom niederösterreichischen Landeshauptmann erteilte Aufführungsbewilligung und verlangte vom Staatssekretär des Innern die Sistierung dieser Bewilligung 37). Infolge dieser Aufforderung durch einige Abgeordnete fühlte sich das Staatsamt des Innern nun auch berechtigt, weitere Aufführungen von Schnitzlers Reigen, den Direktor Bernau am 1. Februar 1921 im Deutschen Volkstheater herausbrachte, zu untersagen. Gegen diesen Kompetenzeingriff setzte sich allerdings der Bürgermeister als Landeshauptmann von Wien mit Erfolg zur Wehr 38). Gerade dieses Reigen-Verbot brachte Bewegung in das Abgeordnetenhaus; auch die Sozialdemokraten begannen nun, sich für das Theatergesetz zu interessieren, und legten zu den vorhandenen ihrerseits einen Gesetzesentwurf vor39). Nach einer Überarbeitung durch die Nationalräte Pick, Allina und Genossen war man sich über die privatrechtliche Seite, den Bühnendienstvertrag, einig. Dieser Teil des Gesetzes erhielt in der Frühjahrssession 1922 die Zustimmung des Nationalrates40). Im öffentlich-rechtlichen Teil waren aber die Meinungsverschiedenheiten zu divergierend. Die Gruppe um Dr. Hampel brachte am 13. Oktober 1921 einen den geänderten Verhältnissen angepaßten Entwurf ein. In bau-, 36) Siehe Franz Dirnberger Paul Kornfelds „Himmel und Hölle“ als Opfer der Zensur in MÖStA 25 (1972) 418—434. S7) Stenographische Protokolle 66. Sitzung, Anhang 298/1. 38) IA ZI. 137936: Polizeibericht Pr. ZI. IV—3—9 von 1921 Februar 16 (Bericht über die Störung der .Reigen-Aufführung). Vgl. Arbeiterzeitung von 1921 April 29. 39) Wohl früheste Benachrichtigung des Staatstheaterpräsidenten durch den Sektionschef des Justizministeriums, Dr. Felix Mayer, 1921 Februar 21: BThV 1—2/36—2 ZI. 793 ex 1922; BThV 1—2/36 ex 1922 ist Sammelakt „Theatergesetz“ mit Referentenberichten, Gesetzesentwürfen und Stellungnahmen. 40) BGBl. Nr. 441 von 1922 Juli 13; am 4. Juli war die Bundestheaterpen- sionsverordpung beschlossen worden (BGBl. Nr. 440).