Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
FINK, Manfred: Wiener Arbeiterjugend 1894–1914. Ein Beitrag zu ihrer Vereinsgeschichte
Wiener Arbeiterjugend 1894—1914 155 Bildungsverein „Zukunft“ arrangiert, der in allen Ortsgruppen Vorträge für deren Vereinsabende unentgeltlich bestritt. Alle diese Interessengemeinschaften basierten auf Privatinitiativen einzelner Vereins- und Verbandsmitglieder. Erst im Jahre 1904 begannen sich einzelne Persönlichkeiten der sozialdemokratischen Bewegung für die Tätigkeit des „Verbandes der jugendlichen Arbeiter Oesterreichs“ zu interessieren. Mit der ehrlichen Selbsterkenntnis, die Organisation jugendlicher Arbeiter hätte in ihrer Anfangsphase (ab 1894) nicht nur gegen eine Reihe der „allerältesten Vorurteile in der Gesamtbevölkerung“ zu kämpfen gehabt, sondern „vielfach auch gegen Vorurteile in den Reihen der eigenen Parteigenossen“18), signalisierte der Reichsrats- und Landtagsabgeordnete Karl Seitz die gedanklich vollzogene Anerkennung der Jugendlichen innerhalb der Arbeiterbewegung. Am zweiten ordentlichen Verbandstag (15. und 16. April 1906) waren Delegierte sowohl von gewerkschaftlich ausgerichteten Organisationen als auch Landesparteivertretungen erschienen. Inhaltlich manifestierte sich auf diesem Verbandstag die starke Identifikation von Gewerkschaft und Jugendorganisation. Vor allem die Brünner Organisation betonte wiederholt den „prägewerkschaftlichen Charakter“ des Verbandes19). Zu einer endgültigen Verlagerung in Richtung sozialdemokratische Partei war es durch die Vorgänge rund um die Gewerbeschulreform gekommen; Aktivitäten auf diesem Gebiet hatten gleichsam als Katalysatoren zwischen den Generationen fungiert. Am Parteitag 1907 wurde auf Antrag des Redakteurs des Jugendlichen Arbeiters, Robert Danneberg, einstimmig beschlossen, die Tätigkeit der Jugendorganisationen in das Reichsparteistatut aufzunehmen. Gemäß § 13 des Reichsparteistatuts wurden die Lokalorganisationen angewiesen, „nach Kräften dafür zu sorgen, daß die Jugend der Arbeiterklasse im Geiste des Sozialismus erzogen und mit Klassenbewußtsein erfüllt werde. Überall dort, wo es die Verhältnisse zulassen, sollen zu diesem Zweck eigene Jugendorganisationen gegründet werden“20). In weiterer Folge befaßten sich die Landesparteitage mit dem Verhältnis zu Jugendorganisationen auf Lokalebene. Im Dezember 1907 wurden in Tirol (3. Gewerkschaftskonferenz), im Januar 1908 in Böhmen (Landesparteitag)21) und im Oktober 1908 in Schlesien programmatische Annäherungen vollzogen. Die Entwicklung bis 1914 wurde weitestgehend vom Gedanken der „organisatorischen Partnerschaft“ geprägt, wobei ab 1909 der Vorstand des 18) DJA 2 (1904) 3: Festrede von Karl Seitz anläßlich des neunten Gründungstages des Wiener Vereins jugendlicher Arbeiter. ,9) Vgl. die Protokolle des zweiten ordentlichen Verbandstages in DJA 6 (1906) 22 ff und DJA 7 (1906) 4ff. 20) DJA 4 (1909) 10. 21) Die vom Wiener Vorstand initiierte Bindung an die Partei war letztlich auch zur Grundlage des organisatorischen Aufschwungs der böhmischen Verbandsortsgruppen geworden. Vgl. DJA 4 (1909) 11.