Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
WEILING, Franz: Die philosophische Lehranstalt in Brünn (1808–1849) und die österreichische Bildungspolitik jener Zeit. Ihre Bedeutung für die Entdeckertätigkeit Johann Gregor Mendels
Die Philosophische Lehranstalt in Brünn (1808—1849) 131 strenge Beurteilungsweise eine hohe Ausfallsquote zur Folge, wobei dem Kandidaten nicht in jedem Falle eine Möglichkeit zur Wiederholung der Prüfung eingeräumt wurde. So waren für zwei Besetzungen des mathematischen Lehrstuhles der Brünner Philosophischen Lehranstalt nicht weniger als fünf Prüfungen erforderlich, bis die Lehrbefähigung (und dann noch mit gewisser Nachsicht) ausgesprochen wurde. Diese Strenge hatte im vorliegenden Falle die weitere Folge, daß dieser Lehrstuhl in der Zeit von 1820 bis 1849 etwa sieben Jahre lang nicht resp. nur provisorisch besetzt war. Die Verpflichtung, für bestimmte Fachgebiete geeignete Lehrkräfte und Vertreter zu stellen, sowie die den Ordensgeistlichen damals von staatlicher Seite grundsätzlich zugestandene Möglichkeit, sich, wenn auch in Abstimmung mit dem geistlichen Vorgesetzten, dem Studium eines Faches aus dem philosophischen und theologischen Fächerkatalog besonders zu widmen, hat gerade im Altbrünner Stift dazu geführt, daß ein namhafter Anteil der Geistlichen dieses Stiftes in der ersten Hälfte und um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine Hochschul- oder Gymnasialprofessur bekleidet hat. Denn die jeweils als Stellvertreter eines Faches ausgebüdeten Geistlichen haben nach Erhalt ihrer Lehrbefähigung alsbald außerhalb Brünns eine angemessene Stellung gefunden. So waren z. B. in den Jahren 1836 wie 1852 von 15 dem Altbrünner Stift angehörenden Geistlichen jeweils sieben ordentliche oder emeritierte Professoren resp. Gymnasiallehrer67). Diese wissenschaftliche Einstellung des Altbrünner Stiftes war nicht zuletzt das Verdienst des von 1824 bis 1867 regierenden Abtes Franz Cyrill Napp (1792-18 67)68). Napp, selbst emeritierter Professor der alttestamentlichen Exegese und der altorientalischen Sprachen, galt nicht nur im Stift und darüber hinaus im öffentlichen Bereich als geschickter Organisator, sondern war zudem allen wissenschaftlichen Belangen der damaligen Zeit in besonderer Weise aufgeschlossen69). Er .bewies ohne Zweifel in hervorragendem Masse jene Eigenschaften, die nach dem Urteil des Landesgouvemeurs von Niederösterreich in dessen Gutachten für die Vereinigte Hofkanzlei vom 18. Februar 1813 (siehe oben S. 123 f.) die Voraussetzungen dafür darstellen, daß in den Stiften fähige Wissenschaftler heranwachsen würden. All diese, letzthin auf die Bildungspolitik des österreichischen Kaiserreiches zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts zurückgehenden Gegebenheiten dürften für die Entdeckertätigkeit Mendels von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein. Neben seiner persönlichen Veranlagung sowie zahlreichen Anregungen seit seiner frühen Jugend ist sein Umfeld innerhalb und außerhalb des Klosters in Brünn auf seine Tätigkeit ohne Zweifel von nicht gerin67) Personalstand (wie Anm. 63) 134f. 6S) Vgl. Franz Weiling F. C. Napp und J. G. Mendel. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Mendel’schen Versuche in Theor. and Appl. Genetics 38 (1968) 144-148 und Zur Herkunft von Prälat Franz Cyrill Napp, des geistlichen Vorgesetzten J. G. Mendel’s in Sudhoff s Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 55 (1971) 80-85. 69) Vgl. Wurzbach BLÖ 20 (1869) 81 ä und d’Elvert Geschichte der k. k. mähr.-schles. Gesellschaft 2 328-331. 9*