Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
BOSMANS, Jac: Ausländische Präsenz in Österreich während des Genfer Sanierungswerkes 1922–1926
Ausländische Präsenz in Österreich 1922-1926 313 anfangs seine Bedenken. Ihm war von Kay kein einziges Buch oder auch nur ein Artikel über Bankgeschäfte oder finanzielle Fragen bekannt, und Kay war auch, soviel Zimmerman wußte, noch nie in direkten Kontakt mit einer Zirkulationsbank gekommen; zwecks guter Ausübung seines Amtes sollte der Berater jedoch Ansehen und Prestige in offiziellen und Bankierskreisen genießen. Außerdem war Kay sehr schwerhörig103). In London stand aber kein anderer Kandidat zur Verfügung, und man glaubte dort, Zimmerman übertreibe die Anfordemisse an die Geschäftserfahrung in bezug auf die Zentralbank, - gab es doch in Europa nur einige Personen mit derartigen Vorkenntnissen, und diese würden ihre Stellung bestimmt nicht gegen ein befristetes Amt in Wien tauschen104). Es gab aber noch einen ganz anderen Einwand: Zimmerman vermutete bei Kay jüdische Herkunft, und dies hielt er für ein ernsthaftes Bedenken in Anbetracht der antisemitischen Tradition in Österreich105). Auch in England gab es Einwände gegen Kay, aber diese waren anderer Art: Man hielt ihn hier für eine derart konzüiante Persönlichkeit, daß man sich fragte, ob er in Wien dem Standpunkt des Auslands wohl genügend Nachdruck verleihen werde. Es war Norman, der schließlich die Ernennung Kays dennoch durchsetzte. Am 1. Februar 1926 trat der Vertraute des Gouverneurs der Bank von England sein Amt in Wien an106 *). III Der zweite Bereich, in dem sich der Einfluß des Auslands in Österreich während der Sanierungsjahre deutüch zeigte, war der des Wiederaufbaugesetzes. Es war von Anfang an die Absicht Zimmermans, sich von Sachverständigen mehrerer Länder beraten zu lassen, damit er auf Grund gut fundierter Gutachten der Regierung bei der Reorganisation der Staatsbetriebe behilflich sein könne. Insgesamt nominierte der Generalkommissär vier Betriebe für eine Untersuchung durch Ausländer: die Bundesbahn, die Tabak- und Salzmonopole und die Postverwaltung. Auch hätte er gerne einen Experten für die Reorganisation der Hoheitsverwaltung und daneben noch einen weiteren, der ihn bei der Reorganisation der finanziellen Gebarung des Staates beraten sollte, herangezogen. Darauf mußte er jedoch verzichten, weil sich ausländische Einmischungen in diese Bereiche für die Regierung als unzulässig erwiesen. War im vorigen Abschnitt vor allem der Einfluß der Bank von England klarzustellen, so wird im folgenden vorwiegend über die rücksichtslosen Bestrebungen zu sprechen sein, mit denen Italien versuchte, möglichst großen Einfluß in Österreich zu gewinnen. 103) S108 2/6/2: Zimmerman an Niemeyer, 1925 November 10. 104) S108 2/6/2: Niemeyer an Zimmerman, 1925 November 18. los) S108 2/6/2: Salter an Niemeyer, 1926 Januar 13. 106) HHStA NPA 41: Gesandtschaftsbericht aus London, 1926 Januar 7 und Juni 10.