Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 34. (1981)
WANNER, Gerhard: Die Spitzbergenfrage zwischen 1908 und 1912 und die k. u. k. Gesandtschaft in Stockholm
Die Spitzbergenfrage zwischen 1908 und 1912 279 norwegische König Haakon persönlich um Hilfe gewandt habe, damit Norwegen nicht zu sehr „maltraitiert“ werde25). Was Kiss über die Entwicklung der Spitzbergenfrage wußte, war dem schwedischen Reichstag nicht bekannt. Taube gelang es wirklich, bis zur Auflösung des Reichstages im Juni 1910 den wahren Sachverhalt, das heißt, den Prestigeverlust Schwedens und seiner Außenpolitik gegenüber Norwegen, zu verbergen. Der Außenminister fürchtete nicht nur eine Kabinettskrise, sondern auch, daß das merklich freundlichere Klima zwischen Norwegen und Schweden abgekühlt würde, - waren doch im Frühsommer 1910 in beiden Staaten Stimmen laut geworden, die eine militärische Verteidigungsallianz forderten26), was sehr den aktivistischen Rechtskreisen entsprach. Wenige Tage vor Schließung des schwedischen Reichstages am 11. Juli erschien in den schwedischen Zeitungen ein offiziöses Communiqué. Es wollte die bisher „irreführenden und zum Teil unrichtigen Angaben“ der Presse beseitigen. In der knappen Meldung wurde auf die „gemeinschaftliche“ Zusammenarbeit der drei nordischen Staaten in Oslo hingewiesen. Der auszuarbeitende Konventionsvorschlag sollte sodann den anderen interessierten Mächten zur „Begutachtung“ vorgelegt werden. Kein Wort vom russischen Kurswandel und davon, daß Schweden weitgehend gezwungen worden war, seine früheren Forderungen zurückzuziehen. Der schwedische Reichstag reagierte nicht mehr, was Legationssekretär Kiss einleuchtend erklärte: „Da die Abgeordneten übermüdet durch die Arbeit der letzten Wochen nur mehr für das Auseinandergehen des Parlamentes Sinn hatten“, sei die Spitzbergenfrage nicht mehr aufgerollt worden27). In dieser Situation schien die große Stunde des deutschen Gesandten in Stockholm, Carl Pückler, gekommen zu sein: Nicht nur daß der vorsichtige deutsche Staatssekretär Wilhelm Freiherr von Schoen durch den aktiveren Alfred Kiderlen-Wächter ersetzt worden war28), der schwedische Außenminister Taube zeigte sich auch über Rußlands Haltung nach wie vor tief enttäuscht, zur großen Freude seines Vorgängers und jetzigen schwedischen Gesandten in Berlin, Eric Trolle, der ein Anhänger eines deutsch-schwedischen Bündnisses war. Von Schoen war für Pückler ein ständiger Hemmschuh gewesen, wenn der deutsche Gesandte in der Spitzbergenfrage aktiv sein wollte. Der k. u. k. Gesandte Dumba hatte für diese Erscheinung folgende Erklärung: Schoen habe aus seiner früheren diplomatischen Amtszeit in Kopenhagen eine gewisse Vorhebe für Dänemark und den dänischstämmigen norwegischen König Haakon behalten. Daher wolle er auf Norwegen keine Pressionen ausüben. 25) Anton Kiss an Aehrenthal, vertraulicher Bericht 16 A-B, 1910 Mai 13 Stockholm: ebenda. 26) Mathisen Svalbard 154; Nya Dagligt Allehanda, 1910 Juni 12. 27) Anton Kiss an Aehrenthal (Bericht 18 A-B), 1910 Juni 11 Stockholm: HHStA GSt 154 mit Communiqué als Beilage. 2S) Lindberg Kunglig utrikespolitik 185.