Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens

226 Jakub Forst-Battaglia Als dann die Unklarheit in den österreichisch-russischen Beziehungen weiter anhielt, förderte das nicht nur den Radikalismus der polnischen Nationalen, sondern ebensosehr den der ruthenischen: ein Anlaß mehr für die Gemäßig­ten, die Beilegung der offenen Fragen Galiziens herbeizuwünschen44). Nach außen hin tat die Führung des Polenklubs unentwegt so, als fürchte sie nichts mehr als eine Besetzung Bosniens durch Österreich, also die „Konni­venz“ Wiens mit Petersburg45). Auch Dunajewski mahnte am 4. Juni, neun Tage vor dem Zusammentritt des Berliner Kongresses, die gemeinsame Re­gierung, die Würde der Monarchie mittels einer „starken Politik im Osten“ zu verteidigen. Eindämmung der russischen Macht, Sicherung des österrei­chischen Mitspracherechts in Südosteuropa, vor allem aber ein dauerhafter Friede waren die Hauptforderungen Dunajewskis. Dem aufmerksamen Zuhö­rer entging nicht, daß der Redner zwar die „panslawistischen und schisma ti­schen“ Kräfte in Rußland ob ihres Fanatismus angriff, unterschwellig jedoch Andrässy ermutigte, sich mit den Gemäßigten in Petersburg zu verständi­gen46). Dunajewski begriff sehr wohl, daß der Versuch, Rußland zu demütigen, der Entspannung höchst abträglich gewesen wäre. Die kluge, von Widersprüchen jedoch nicht ganz freie Rede des angesehenen Krakauer Professors kenn­zeichnet den Wandel, den die Konservativen in den vierzehn Monaten zwi­schen April 1877 und Juni 1878 durchgemacht hatten. Sie mußten zuneh­mend auf die Ansichten ihrer Landsleute Rücksicht nehmen, die mit Unge­duld einen Aufstand in Kongreßpolen herbeisehnten, ein österreichisch-tür­kisches Offensivbündnis gegen Rußland verlangten und in der brennenden orientalischen Frage nur einen Anlaß erblickten, den Traum von der Wieder­errichtung des polnischen Nationalstaates zu verwirklichen. Demgegenüber konnte die gemäßigte Adelspartei nur Lippenbekenntnisse ablegen, hinter denen sich der Wunsch verbarg, ohne Aufgabe des patriotischen Fernziels al­Österreich für den Kriegsfall das Aufgreifen der polnischen Frage erlaubt, und daß auf der anderen Seite der Nihilismus anwächst, der nach Kriegsende in Rußland unauf­haltsam [um sich greifen muß]. Die Regierung wird zu Konzessionen an das eigene Volk gezwungen sein': B PAN Krakow: 1317 Listy ks. Waleriana Kalinki do Dyonizego Skariynskiego z lat 1875, 1877, 1878, 1879, 1880, 1882 i z róznych dat (1865-1885), Kalinka an Skarzynski, 1878 März 3 Jaroslaw. 44) Besonders der alte Fürst Sapieha zeigte sich über die Verhärtung der Fronten in Ostgalizien beunruhigt, so Muzeum Narodowe, Oddzial w Krakowie (MNK): Archi- wum Sapiehöw z Krasiczyna 1169: Leon Sapieha an Sohn Adam, 1878 Mai 5, 9, Juni 6 Lemberg. In Lemberg werde gegen den Statthalter wegen dessen Friedensliebe von ,unseren [polnischen] Straßenkrakeelern1 Stimmung gemacht (Mai 5), die radikalen Ruthenen legten ,einen unvorstellbaren Fanatismus1 an den Tag (Mai 9), der ,Moskauer Nihilismus1 halte .triumphalen Einzug in das Priesterseminar der Unierten1 (Juni 6). 45) In diesem Geiste interpellierte Grocholski am 9. Mai 1878 vor dem Abgeordne­tenhaus: Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten 8. Session 379. Sit­zung, 1878 Mai 9: 12296-12297; Kolmer Parlament und Verfassung 2 435-436. 46) Stenographisches Sitzungs-Protokoll der Delegation des Reichsrats 10. Session 12. Sitzung, 1878 Juni 4: 259-264.

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