Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)
FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens
Orientfrage und Konservative Galiziens 221 Landsleute gegen die Zarenherrsehaft; sie wollten Österreich-Ungarn zu Feindseligkeiten gegen Petersburg, ja zur Eröffnung einer Weichselfront treiben21). Anders dachten die Warschauer Konservativen, deren prominenteste Vertreter, Zygmunt Wielopolski und Józef Zamoyski, Rußland durch bedingungslose Loyalität zur Lockerung des auf den westlichen Gouvernements lastenden Druckes zu bringen hofften22). Die galizischen Konservativen befanden sich in einer Zwangslage. Sie verstanden die Beweggründe ihrer Warschauer Standesgenossen, wünschten ebenfalls die Stärkung der gemäßigten Russen und die Schwächung der Panslawisten, doch mit dem Ziel einer endgültigen Verdrängung Rußlands aus dem mittel- und südosteuropäischen Kraftfeld23). Sie mußten trotzdem trachten, sich durch antirussische Erklärungen vom Vorwurf der „Moskophüie“, den die linke Opposition erhob, reinzuwaschen, mahnten aber immer wieder zur Besonnenheit. Die führenden Konservativen sahen die Gefahr zarenfeindlicher Kundgebungen in Galizien für die polnische Sache, erkannten indes mit der Zeit, daß die Stellung der zisleithanischen Deutschliberalen ins Wanken geriet und daß die Polen Österreichs ihren Einfluß auf die Regierungsgeschäfte wesentlich verstärken konnten, falls sie mit den übrigen Slawen zusammenarbeiteten und zugleich außenpolitisch die Bestrebungen Andrässys unterstützten24 25). Der Ausbruch des russisch-türkischen Krieges im April 1877 überraschte niemanden. Die galizischen Konservativen verfolgten den Ablauf der Ereignisse sowohl mit Besorgnis, als auch mit dem Gefühl, das Schicksal der polnischen Nation könnte an einem neuen Wendepunkt angelangt sein. Vorsichtiges Abwarten hielten sie zunächst für ratsam, ,um sich nach keiner Richtung hin den Weg zu verbauen125), wie Kozmian es ausdrückte. Obzwar es 21) Wilhelm Feldmann Stronnictwa i programy polityczne w Galicji 1846-1906 [Parteien und politische Programme in Galizien 1846-1906] 1 (Krakow 1907) 161-162; dsbe Geschichte 258 berichtet von „einer in ihrer Art einzigen Koalition“: „Im Sommer des Jahres 1877 findet in Wien eine Zusammenkunft der Freunde Polens statt, an der sich hervorragende Vertreter des englischen Katholizismus, ferner Vertrauensmänner des Grafen Chambord, der spätere Präsident der Republik, Grévy, verschiedene Italiener und Ungarn, Agenten der englischen Regierung und der türkische Exminister Midhat Pascha beteiligten. Nach einer Verständigung mit ihnen wählen die polnischen Vertreter eine Nationalregierung unter Führung des Fürsten Adam Sapieha, welche im Einverständnis mit der katholischen Welt die Intervention Österreichs herbeiführen will, um mit dessen Hilfe eine bewaffnete polnische Bewegung gegen Rußland ins Leben zu rufen.“ Ihre nüchterne Einschätzung der Lage verbot jedoch den galizischen Konservativen, diese Politik zu unterstützen. 22) Ebenda 275-278. Die Ansichten und Bestrebungen Zygmunt Wielopolskis fanden u. a. im regen Briefwechsel des Marquis mit dem Literaten Henryk Lisicki ihren Niederschlag: Bibliotéka Polskiej Akademii Nauk w Krakowie (B PAN Krakow): 7965 Listy Zygmunta Wielopolskiego do Henryka Lisickiego, lata 1876-1879; 7966 Listy róznych do Henryka Lisickiego. 23) Tarnowski Wojna 203-237. 24) Ebenda 218-222. 25) Bibliotéka Zakladu Narodowego imienia Ossolinskich Polskiej Akademii Nauk (Wroclaw) (BZNO) 6531/11: Korespondencja Aleksandra Szukiewicza, redaktora Czasu