Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)
FORST-BATTAGLIA, Jakub: Die Orientfrage in den Jahren 1875–1878 und das Dilemma der polnischen Konservativen Galiziens
Orientfrage und Konservative Galiziens 219 sei es der österreichischen, sei es der russischen, .könnte aber alles gefährden“ 14). Unbehagen, ja leise Angst sprachen aus den Worten Tarnowskis, und dies nicht ohne Berechtigung. Es waren Gerüchte laut geworden, wonach sich in Galizien Anfang 1876 eine geheime .Konföderation der polnischen Nation“ aus Emigranten und radikalen Demokraten gebildet habe, die einen neuen Aufstand in Russisch-Polen anfachen und Österreich zum Krieg mit Rußland zwingen wollte. Der Donaumonarchie bliebe dann auch, so meinten die Geheimbündler, keine andere Wahl als die Flucht nach vorn: der Türkei mit Waffengewalt zu helfen, die polnische Unabhängigkeit aber offen als Nahziel anzustreben15). Die Krakauer Herren wußten, daß Andrässy die Aufstandspläne kannte und sie heranreifen ließ, um einen antirussischen Trumpf in der Hand zu behalten. Sie fürchteten nicht nur russische Repressalien im ehemaligen Kongreßkönigreich, sondern einen weniger antiösterreichisch als sozial umstürzlerisch ausgerichteten Aufruhr in Galizien. Ebenso liefen sie Gefahr, ins Sperrfeuer der aufstrebenden jungen Demokraten Lembergs und der radikalen Ruthenen zu gelangen16). So gewann bei ihnen die Sorge um das unmittelbare Los Galiziens erneut das Übergewicht. Wie stets, wenn es galt, Vor- und Nachteile einer Situation abzuwägen, übten sie äußerste Zurückhaltung. Sie drangen mit ihrer Meinung im Polenklub durch, dessen Mitglieder sich vor Juli 1877 jeder parlamentarischen Stellungnahme zu den orientalischen Ereignissen enthielten17). Da die Konservativen einmal mehr zur Erkenntnis gelangt waren, daß Rußland mit friedlichen Mitteln von der Einmischung in Angelegenheiten des Balkans nicht abzubringen war, genügte ihnen bereits, wenn Österreich dem Konflikt fernblieb. Als die Türkei den Schlichtungsversuchen der Mächte Anfang April 1877 eine endgültige Absage erteilte und das Zarenreich der Pforte den Krieg erklärte, forderte der Czas von Andrässy lediglich eine .würdig neutrale, wahrhaft slawische“ Politik. Daran knüpfte das Blatt die Mahnung an Österreich-Ungarn, keinesfalls Bosnien und die Herzegowina zu besetzen, wodurch es zum Helfershelfer russischer Politik werden würde18). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die zwanzig Jahre später verfaßte Studie des Krakauer Publizisten Stanislaw Kozmian über den Balkan14) Ebenda 195-196. ls) Zu diesem letzten polnischen Verschwörungsversuch im 19. Jahrhundert Wilhelm Feldmann Geschichte der politischen Ideen in Polen seit dessen Teilungen 1795-1914 (München-Berlin 1917) 256-258; Stefan Kieniewicz Adam Sapieha 1828-1903 (Lwów 1939) 235-294; Franciszek Rawita-Gawronski Konfederacja Na- rodu Polskiego w roku 1876 [Die Konföderation der Polnischen Nation im Jahre 1876] (Poznan-Warszawa 1920). 16) Archiwum Panstwowe Miasta Krakowa i Wojewödztwa Krakowskiego, Oddzial na Wawelu, Archiwum Domowe Potockich z Krzeszowic (APKr. Wawel Pot D): Alfred Potocki an Katarzyna Adamowa Potocka, 1877 März 20 Lemberg. 17) Stanislaw Tarnowski Wojna Rosji z Turcjg. i nasz do niej stosunek [Der Krieg Rußlands mit der Türkei aus unserer Sicht] in Studya Polityczne 1 203-237. 18) Czas n. 89, 1877 Aprü 20.