Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)
HÖFLECHNER, Walter: Anmerkungen zu Diplomatie und Gesandtschaftswesen am Ende des 15. Jahrhunderts
2 Walter Höfleehner der Materie mit Hilfe des Rechts und der Rechtstheoretiker - hoffnungslos angesichts der engen und tragenden Verknüpfung des Gegenstandes mit dem Problem der Macht, die das Recht des Stärkeren, des Augenblicks setzt und sich nicht um Stubengelehrsamkeit kümmert; das Problem schließlich der Darstellung, der Komposition mit der Aufstellung einer Norm und - bei einiger Gerechtigkeit - dem Beifügen von unzähligen Ausnahmen, jede für sich verständlich aus einer ganz bestimmten, individuellen historischen Situation, sodaß oft nicht mehr als eine reichlich vage und weit gefaßte Norm als Hülle, als Gefäß für die einzelnen Ereignisse übrigbleibt — gleichermaßen unbefriedigend für Autor wie Leser. Der Gegenstand darf auch keineswegs — wird aber hin und wieder doch — losgelöst betrachtet werden von der Organisation, der Verfassung des Staates, mit der er in engster Verbindung steht; je höher die Organisation (fast ist man versucht zu formuüeren: der Zentralismus) eines Staatswesens, desto besser die Ausformung des diplomatischen Apparats. Der Entwicklungsstand in Europa um 1500 zeigt dies in aller Klarheit. Wenn in der Literatur zum Thema Gesandtschaftswesen und speziell Gesandtschaftswesen im Mittelalter die Darstellung der Verhältnisse an der Signorie von Venedig einen breiten Raum einnimmt, dann hat das nur sekundär seine Ursachen darin, daß wir für diesen Bereich über die besten und umfangreichsten Quellen verfügen, primär im Umstande, daß Venedig eben aus verschiedenen Gründen allen anderen italienischen Mächten weit voraus über das bestorganisierte System verfügte. Die Klarheit und Strenge der Verfassung finden in der wohlüberlegten Normierung und gesetzlichen Fundierung des Gesandtschaftswesens an der Signorie ihren sichtbaren Ausdruck. Neben dem venezianischen Material wird in der Regel auf die Gebräuche in Frankreich und in England zurückgegriffen - beide in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wenigstens einigermaßen geordnete, ja zentralisierte und straff regierte junge „Nationalstaaten“. Ganz anders die Verhältnisse in Mitteleuropa und im Osten. Die diffizile Vielfalt der Reichsverfassung und die Diskrepanz zwischen Idee und Wirklichkeit öffnen der Improvisation Tür und Tor. Die Länder des jagiellonischen Machtbereiches, die Reiche des Ostens, sind dem Kenner des romanischen Raumes zumeist unbekannt, der hingegen dank der Arbeiten Übersbergers und der Commentarii Herbersteins wieder über die Zustände im großfürstlichen Moskau Bescheid weiß, wo sich die Einflüsse des Westens mit jenen des asiatischen Raumes treffen, etwa in den Kontakten mit den Krimtataren, über die Berthold Spuler gearbeitet hat. Über all dies einen Maßstab zu legen - zeitlich für die einzelnen Länder und räumlich über die Landschaften Europas hinweg — ist unmöglich. Die zeitliche Parallelität verschiedener Entwicklungsstufen, verschiedener Wege zum Ziel reduziert trotz aller Anstrengungen in ganz natürlicher Weise das kategorisierende Destillat des Historikers - nicht des Juristen — auf jenes Element, das überall vorhanden und im Grunde genommen Kern aller Diplomatie und allen Gesandtschaftswesens ist, nämlich auf die Grundformen menschlicher Beziehungen - eher ein Thema für Verhaltensforscher.