Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger

DIRNBERGER, Franz: Theatergeschichte und Theaterlegende. Bemerkungen zum Schriftgut der Theaterverwaltung

222 Franz Dirnberger ater erst nach der Jahrhundertmitte in Angriff genommen wurde, kann als entscheidend für die Beibehaltung dieser Trennung angesehen werden. Trotz vielerlei Umbauten stellte sich nämlich das Hofburgtheater (Theater nächst der Burg) frühzeitig als äußerst ungenügend und zuletzt auch als baufällig dar. Der Gedanke zum Bau eines neuen Hoftheaters läßt sich daher schon in die Zeit Josephs II. zurückverfolgen. Aktenmäßige Unterlagen gibt es aller­dings erst für die Vorschläge der Kavahere um 1810, für die Pläne, die Mo­ritz Graf Dietrichstein in den 20er Jahren und Burgtheaterdirektor Holbein Anfang der 40er Jahre einreichten, sowie für alle späteren Vorschläge. Der neue Bau sollte nicht nur schöner sein als die bisherigen Hoftheater, er sohte auch mehr Leuten Platz bieten, als beide Hoftheater zusammen. Es sollten alle Arten von Spektakeln gespielt werden können und - als Hauptforderung des Hofes zumindest bis 1848 - es mußte eine direkte und bequeme Verbin­dung zur Hofburg möglich sein, damit der Herrscher zu jeder Zeit und, ohne den Unbilden des Wetters ausgesetzt zu sein, rasch ins Theater gelangen konnte. In diesem Sinne blieb das Burgtheater, auch nachdem die deutsche Schau­spieltruppe in erster Linie dort zu spielen hatte und Joseph das Theater „hinführo das teutsche National Theater heissen“29) ließ, das eigentliche Hoftheater; deshalb ist die Wiedereinführung des Singspiels nach so kurzer Zeit verständlich, weil das Kärntnertortheater zu weit von der Hofburg ent­fernt war, obwohl ein eigener Verbindungsgang, der die Stadtmauer entlang führte, direkt von der Hofburg in dieses Theater führte. Die Verleihung des Titels selbst war keine irgendwie geartete „Gründung“ oder „Rangerhö­hung“, zumindest hat Joseph II. von sich aus nie behauptet, ein Theater ge­gründet zu haben. Es war der Nationalschauspiel- oder Nationaltheaterge­danke des Sonnenfels, den Freiherr von Gebier mit seinem Geld zu verwirk­lichen trachtete. Jenes Nationalschauspiel aber drohte zwischen den Anhän­gern der Burleske und denen der französischen Komödie, dem einfachen Volk auf der einen und dem hohen Adel auf der anderen Seite, wie zwischen Mühlsteinen zerrieben zu werden. Den Gedanken und die Forderung des ge­reinigten Schauspiels griff Joseph vorerst auf, Forderungen, wie sie Maria Theresia mit ihren Erlässen 1747/8, mit der Einführung der Zensur 1752 und neuerlich mit der ersten Schauspielerordnung 1754 ganz klar zum Ausdruck brachte. Freilich, von einem von allen Possen gereinigten Schauspiel kann auch nach 1776 nicht die Rede sein: Das erste Stück des „Nationaltheaters“ Die Schwiegermutter war ein Schwank, und noch Freiherr von Braun mußte sich wiederholt mit Unterstützung kaiserlicher Verbote gegen das Extempo­rieren zur Wehr setzen. Die in der theaterwissenschaftlichen Literatur so großartig gesponnenen Fäden zu Lessing und anderen Größen, von denen Jo­seph II. beeinflußt worden sein soll, zerreißen allein an der Tatsache, daß Jo­seph II. schon ab 1765 Mitregent war und somit von dieser Zeit an die Mög­lichkeit gehabt hätte, die ihm vorgelegten Reformvorschläge zu verwirkli­29) Payer n. 8: Kabinettschreiben 1776 März 23.

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