Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger

GASSER, Peter: Walter Goldinger, der Archivar der Ersten Republik

WALTER GOLDINGER, DER ARCHIVAR DER ERSTEN REPUBLIK Von Peter Gasser Mit Jahresende 1975 wird Walter Goldinger, Jahrgang 1910, die vor drei Jah­ren übernommene Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs zu­rücklegen und somit den Schlußpunkt unter seine aktive Beamtenlaufbahn setzen. Mit Walter Goldinger war am 2. Jänner 1973 ein Mann in den Minoritenplatz eingezogen, prädestiniert, mehr als würdig, die Traditionen eines Árpád von Károly, eines Oskar Mitis oder eines Ludwig Bittner fortzusetzen, wenn - ja wenn diese Berufung früher erfolgt wäre. Der Archivar der Ersten Republik und profundeste Kenner des österreichischen Archivwesens, ja der Archive im deutschsprachigen Raum schlechthin, kam zu spät zum Zuge. Mit dieser Tatsache, mag sie auch noch so betrüblich sein, wird man sich, da sie unab­änderlich erscheint, abzufinden haben. In der Laudatio, die anläßlich Gol- dingers 60. Geburtstages im 23. Band der Mitteilungen erschienen ist, hat der Verfasser dieser Zeilen Goldingers Werdegang bis zu der 1964 erfolgten Ver­leihung des Titels eines a.o. Univ.-Prof. aufgezeigt. Einiges, was damals un­terblieb, soll jetzt nachgeholt werden. Die so zahlreichen, nicht nur auf Neuzeit und Zeitgeschichte beschränkten Veröffentlichungen Goldingers werden an anderer Stelle die ihnen gebüh­rende Würdigung erfahren. Es erhebt sich aber hier die Frage: Wie war und ist eine Publikation in so reicher Fülle überhaupt möglich? Sie ist es durch ein alle Sparten und Zeiträume der Geschichte umfassendes, schier uner­schöpfliches, von einem phänomenalen Gedächtnis begleitetes Wissen, durch eine Härte, die er stets sich selbst, nie aber seinen Mitarbeitern und Unter­gebenen gegenüber an den Tag gelegt hat. Goldingers Gedächtnis wird immer wieder Verblüffung erregen, wenn auf ausgefallene Fragen stereotyp die Antwort etwa so erfolgt: „ ... da ist von X (im oder am...) darüber etwas erschienen ..oder „XY hat (es folgt die ge­naue Datierung) bei uns darüber gearbeitet . . .“ oder wieder etwa ,, . . . diese Stelle hat damals vorübergehend nicht jenem, sondern diesem Ministerium unterstanden..Ja, die Verwaltungs- und Behördengeschichte! An dieser Stelle muß durchaus berechtigt und begründet festgehalten werden, daß die­ser Materienkomplex, möge er die franziszeische, die franziskojosephinische Epoche oder die Zeit der Ersten Republik umfassen, von keinem anderen Hi­storiker, Archivar oder einschlägig ausgerichteten Juristen so souverain be­herrscht worden ist und wird wie von Walter Goldinger. Mitteilungen, Band 28 1

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