Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)

GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel

412 Ernst Joseph Görlich gesetzt. Diese Kriegsgeneration hat nur Gewalt erlebt und glaubt auch den Staat nach diesem System einrichten zu müssen. Damit hat Dollfuß angefan­gen. Er hat gesagt: ,Ich kann nur mit meiner Partei regieren.“ Auch die kirch­lichen Stellen sind mitschuldig. Pacelli war damals in Deutschland Nuntius, als dort das Gewaltsystem eingeführt wurde. Der Papst war ja zur Pilsudskizeit in Polen. Pacelli drängte in diese Richtung. Jetzt haben wir die Ergebnisse die­ses Systems. Ich habe immer gewarnt. Aber man hat mich nicht gehört“. — Ich machte immer wieder Zwischenbemerkungen, die zum Teil Miklas’ Ansichten bestätigten. Als ich sagte: „Aber Sie ernennen doch die Regierung!“, brach er erneut in Brüllen und Toben, Faustschläge usw. aus: „Nein! Ich ernenne nicht! Ich habe nur zu unterschreiben! Ich bin nur der Notar. Nach dem Frontgesetz muß ich den Kanzler der VF entnehmen. Findet sich denn niemand unter dieser Kriegsgeneration, der den Bundeskanzler ...“ Hier hielt er plötzlich zurück und brach ab. Der Sinn konnte nur sein: „...mit Gewalt beseitigt“. Im unmit­telbaren Gegenüber hatte ich geradezu den Eindruck „niederschießt“, was wohl am besten der furchtbaren Erregung des Bundespräsidenten entsprach. Dann beruhigte er sich wieder etwas und sagte: „Ich könnte ja einen General ernen­nen. Aber das ist nicht beliebt. — Ich wüßte schon jemanden — der ist sogar in der VF“. Ich brachte das Gespräch wieder auf den Ernst der politischen Lage. Miklas ging sofort darauf ein. „Wenn Schuschnigg in Berchtesgaden nicht un­terschrieben hätte, wären motorisierte Divisionen und Bombengeschwader ins Land eingefallen. Hätten wir das verantworten können? Was anderes hätten wir tun sollen bei der Ohnmacht der Großmächte? So haben wir jetzt Zeit ge­wonnen. Jetzt müssen wir abwarten, was Schuschnigg am Donnerstag (24. II.) sagen wird. In den nächsten Wochen wird sich die Lage klären. Jetzt wird in der VF eine nationalsozialistische Front gebildet. Es ist ein Unsinn, was da ge­sagt wird: ,es gebe keine Parteien.“ Jetzt wird die nationalsozialistische Partei legal gebildet. Es ist notwendig, daß ihr eine österreichische Front entgegen­gestellt werde“. Ich: „Wo soll das geschehen?“ Miklas: „Schlagen Sie das vor. Entweder kommt es zu Wahlen oder zum Bürgerkrieg oder ... Es wird auch von anderer Seite angeregt werden.“ Ich: „Ich wüßte nicht, wie ich das tun soll­te! Ich bin zwar seit den ersten Zeiten Mitglied der VF, bin nur zu dem Zweck beigetreten, um darin zu wirken. Aber dort kann man mich nicht brauchen. Jedes Mitglied ist nur eine Nummer, die nichts zu reden hat.“ Miklas fällt ein: „Zu reden hat nur der Führer. Ich bin nicht in der VF! Ich habe den Beitritt abgelehnt. Wie sollte ich, der den Kanzler zu ernennen hat, mich ihm unter­stellen! Ich könnte ja zurücktreten — aber dann würde wahrscheinlich der Bundeskanzler, wie Hitler es getan hat, die Präsidentschaft mit seiner Führer­schaft vereinigen. So muß ich als Schutzengel Österreichs bleiben. Aber tun kann ich nichts. Ich habe keine Macht. Jetzt wissen Sie Bescheid!“ Die Unterredung hatte bis % 12 Uhr gedauert. 2 Drittel derselben hatte Miklas bestritten. (45) Bei Abt Peichl. Im Auftrag der Studienrunde (sc. der katholischen Soziologen) am 22. II. 1938 mit Hörl bei Abt Peichl, um ihn zu veranlassen, die Einladung zur Bildung einer katholisch-österreichischen Konzentration zu unterzeichnen. E r lehnt ab. Als Ordensmann und ohne Wissen des Kardinals. Aber es inter­essiere ihn sehr. Die Bischöfe würden etwas unternehmen. Gföllner sei schon zweimal in Wien gewesen. Und wenn die Bischöfe bei Miklas nicht durchdrin­gen, dann kommt ein Befehl von Rom. Pacelli habe schon öfters eingegriffen. Er bat, ihn am Laufenden zu halten. Infolgedessen war ich am 23. II. 4 Uhr nachmittags wieder bei ihm, um ihm über die Unterredung mit Miklas zu berichten und zu zeigen, daß eine Aktion

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