Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)

GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel

386 Ernst Joseph Görlich ein fester, grundsätzlicher Kern vorhanden ist“. Daher sei er mit unserer Beto­nung des Grundsätzlichen als mit einem Gegengewicht zur notwendigen Partei­politik des Tages einverstanden. Politik und Programm seien ver­schiedene Dinge. Wir müßten uns die christlichsoziale Partei in ihren stürmischen Aufstiegs- und Siegeszeiten zum Muster nehmen. Damals habe sie sich auch mit allerhand Leuten verbündet und das habe ihr gar nicht geschadet (Welche Konklusion des Bündnisses der „Vereinigten Christen“ gegen die Juden mit dem Bündnis der christlichsozialen Führer mit den Ju­den!). Man müsse eine Politik der praktischen Arbeit leisten, nicht eine Poli­tik des Bekenntnisses. Zusammenfassend forderte er uns nochmals auf, uns kraftvoll durchzuset­zen. (2) Schager-Wense2 *). Der Leitung der (liberalen) Monarchistenpartei war seit langem bekannt, daß wir einig waren in der Forderung, daß ich als Kandidat der Rechtsgruppen auf sicherem Platz für den sog. Nationalrat aufgestellt werden solle. Am 6. August 1923 fand zwischen uns und der Leitung der Monarchistenpartei bei Liechtenstein8) eine entscheidende Besprechung statt, in der Schager erklär­te: „Wenn wir freie Hand hätten, würden wir selbstverständlich an erster Stel­le Orel als Kandidaten fordern (gelegentlich der Kompromißverhandlungen mit der christlichsozialen Parteileitung). Die Kandidatur Orels wurde aber schon in den Vorverhandlungen von der christlichsozialen Partei ab­solut ausgeschlossen.“ Einige Tage später erklärte mir Schönsteiner vor Zeßner 4) und Strauch auf diesen Vorhalt einmal in höchster Erregung: ein solcher Ausschluß habe niemals stattgefunden; Schagers Behauptung sei eine Gemeinheit. Am 31. August erklärte mir Seipel, ihm sei gar nichts bekannt von einem Ausschluß oder daß man in der Parteileitung meiner Kandidatur irgend­welche Schwierigkeiten bereiten werde. Nach den Wahlen versuchte die Monarchistenpartei in der Arbeitsgemein­schaft der Rechtsgruppen, an der ich seit den Wahlen überhaupt nicht mehr teilnahm, uns zu versöhnen. Schager suchte dies durch folgende Erklärung zu erreichen: daß vor den Wahlen, wie es eben im politischen Leben üblich sei, einer den andern übers Ohr zu hauen bestrebt gewesen sei, das sei selbstverständlich und gewiß nicht ein Hindernis dafür, sich jetzt, da die Wahlen vorüber seien, wieder einträchtig zusammenzufinden. (3) Vor dem Hochgericht. Bald nach meiner Wahl 5 * *) erhielt ich eine Vorladung vor die Wiener Par­teileitung für den 3. November 1923. Katzenfreundlich empfing mich Schönstei­2) Sektionschef Schager, Baron Wense und Oberst Gustav Wolff waren nach dem Ersten Weltkrieg die bekanntesten Führer der österreichischen Mo­narchisten (Legitimisten). Ihre Organisationen: „Partei der österreichischen Monarchisten“ und „Kaisertreue Volkspartei“. Auf nicht-parteigebundener Grundlage arbeitete der „Reichsbund der Österreicher“ (Gesandter Frh. Wies- ner). 8) Gemeint ist Prinz Johannes Liechtenstein. 4) Hochschulprofessor Dr. Hans Karl Zefiner-Spitzenberg, am 1. August 1938 im KZ Dachau ermordet. 6) Orel kandidierte als Gemeinderat auf der christlich-sozialen Liste für den 18. Wiener Gemeindebezirk Währing.

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