Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
WELTIN, Max: Kammergut und Territorium. Die Herrschaft Steyr als Beispiel landesfürstlicher Verwaltungsorganisation im 13. und 14. Jahrhundert
Kammergut und Territorium 11 eines Landes ausschließlich durch administrative Maßnahmen eines Fürsten als überholt gelten darf49®), ist in unserem Zusammenhang zu fragen, ob der Schreiber von 1240 wirklich die erste derartige Einrichtung gewesen ist. Einen „iudex in Anaso“, der 1222 eine für den Herzog bestimmte Geldsumme übernehmen sollte, erkennt Dopsch richtig nicht als solche an 50). Einen zwischen 1198 und 1203 erwähnten „officialis Herwor- dus de Aneso“ hat er nicht in seine Studie miteinbezogen, obwohl gerade diese Nennung interessante Perspektiven eröffnet. Damals gewährte nämlich Leopold VI. dem Kloster Garsten innerhalb seines Herrschaftsgebietes Zollfreiheit zu Wasser und zu Land51). Zu der bei solchen Handlungen nicht ungewöhnlichen Beteiligung seiner Ministerialen 52) erklärte der Herzog aber, daß letztere mit Zustimmung seiner Offiziale Dietrich von Wien und Herword von Enns geschehen sei 53). Nun ist aber über die Person Dietrichs von Wien einiges bekannt: er war zeitweise auch Münzmeister und — was sich dabei eigentlich von selbst versteht — einer der reichsten Männer im babenbergischen Österreich 54). Was für Dietrich gilt, darf wohl auch für Herword geschlossen werden. Demnach ist anzunehmen, daß die beiden wahrscheinlich einen beträchtlichen Teil der landesfürstlichen Einnahmsquellen, zu denen ja auch die Mauten gehörten, in Pacht gehabt haben. Anders ist ja ihr „assensus“ bei der herzoglichen Privilegienerteilung kaum zu erklären. Schon Brunner hat diese babenbergischen bürgerlichen Amtleute mit ähnlichen der Zeit Ottokars II. verglichen, der bekanntlich gegen Ende seiner Regierung in Österreich den reichen Bürgern Gozzo von Krems und Paltram von Wien landesfürstliche Ämter und Regalien verpachtet hatte55). Bei diesen Finanzleuten Ottokars wird sich unten zeigen lassen, daß sie keineswegs die Exponenten eines landesfürstlichen Ämterkonzepts gewesen sind, für das man schon im 13. Jahrhundert das Berufsbeamtentum des 15. Jahrhunderts postulieren müßte. Sie verdankten ihre Positionen vielmehr einer ganz bestimmten Art landesfürstlicher Finanzierungstechnik, deren sich Ottokar infolge des gestiegenen Geldbedarfs bedienen mußte. Bei Dietrich und Herword 49a) vgl. Karl L e c h n e r Die Bildung des Territoriums und die Durchsetzung der Territorialhoheit im Raum des östlichen Österreich in Vorträge und Forschungen 14/2 (1971) 393. so) Dopsch Finanzverwaltung 256. 51) BUB 1 139 i (1198—1203). 52) Vgl. Heinrich Siegel Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Österreich im 12. und 13. Jahrhundert in Sitzungsberichte der Philosophisch- Historischen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (= SB WA) 102 (Wien 1883) 252. 53) Wie Anm. 51: „... cumque assensu officialium nostrorum Dietrici de Wienne et Herwordi de Aneso ... remisimus ac indulsimus omne vectigal ...“. 54) Otto Brunner Das Wiener Bürgertum in Jans Enikels Fürstenbuch in MIÖG 58 (1950) 553. 55) Ebenda 553 Anm. 18.