Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky
RILL, Gerhard: Humanismus und Diplomatie. Zur Geschichte des Gesandtenwesens unter Ferdinand I.
576 Gerhard Rill Gemeinsam war diesen Männern ein echtes oder auch nur vorgegebenes Vertrauen in die Macht der Rhetorik, in die sprachliche Bewältigung der „utilitas cum decore“. Die beste Möglichkeit dazu bot die große Oratio am Beginn der Legation, immer schon ein Prüfstein für die Fähigkeit des Gesandten, jetzt durch die angedeutete Entwicklung in ein besonderes Licht gerückt. In den meisten Fällen hat diese Oratio den Gang der Ereignisse wohl kaum wesentlich beeinflußt; man sprach „ein wenig de laude et utilitate regum et principum concordia ..4:i). Es gab aber Fälle, in denen die Ohrenzeugen aufhorchten. Jener Mönch (Statilius?) habe eine Rede gehalten, die die Versammelten mitriß, die nicht nur Menschen, sondern auch Steine hätte erweichen können, erklärte voll Neid der nüchterne, humanistischer Schwärmereien völlig unverdächtige Logschau43 44). Von den Diplomaten Ferdinands wird besonders der junge Pedro de Salamanca genannt, der 1523 vor der römischen Kurie „supra etatem et opinionem“ sprach und höchstes Lob erntete45). Zwei Oratoren aus der Frühzeit Ferdinands überragen, auch nach italienischen Maßstäben gemessen, den Durchschnitt. Balbi wurde vor allem durch die (noch in ungarischen Diensten) im April 1521 am Wormser Reichstag und die im Februar 1523 vor Hadrian VI. als Vertreter Ferdinands gehaltenen Orationen in ganz Europa berühmt. „Demosthenem aut Ciceronem diceres audiri“, berichtete der erwähnte Pedro de Salamanca46). Ähnliches gilt für Cuspinian, dessen Rednergabe, verbunden mit einer wohllautenden Stimme, die Zuhörer mitreißen oder zu Tränen rühren konnte; auch die Ironie spielte bei ihm eine angemessene Rolle: so etwa, wenn er den französischen Gesandten fragte, ob dessen König seinen entfernten Verbündeten auf Luftschiffen („aereae naves“) zu Hilfe kommen wolle, oder wenn er die Überlegenheit der Türken auf die Abstinenz der Muselmanen im Vergleich zur Trunksucht der Deutschen zurückführte 47). In der Oratio Balbis und Cuspinians war die Perfektion erreicht, die ohne verwegene sophistische Dialektik kaum überboten werden konnte: Von dem Gesandten Francois Olivier wird berichtet, daß er am 43) Dietrich Kämmerer an Ferdinand I. (1526 November) im HHStA Hungarica 2 (1526) fol. 130—134. 44) Bericht Logschaus von 1527 Dezember 17, ebenda 7 (1527 Dezember) fol. 23—25. 45) Bericht Balbis aus Rom 1523 April 12 im HHStA Rom Korresp. 1 a fol. 13. 46) Inhaltsangabe der Rede vom 3. April 1521 in Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. 2, bearb. von Adolf Wrede (Gotha 1896) 758f; Text in Hieronymi Balbi Opera poetica, oratoria ac politico-moralia 1, ed. Josephus de R e t z e r (Vindobonae 1791) 547—561; ebenda XXIII Auszug aus dem Schreiben Pedros an Gabriel Salamanca (s. d.) und 561—577 Rede vom 9. Februar 1523 vor Hadrian VI. 47) Hans Ankwicz-Kleehoven Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian (Graz—Köln 1959) 175, 180 f, 238 f, 260.