Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

SCHMID, Georg E.: Die Coolidge-Mission in Österreich 1919. Zur Österreichpolitik der USA während der Pariser Friedenskonferenz

Die Coolidge-Mission in Österreich 1919 435 Außenminister Lansings Auffassungen zeigen bereits zu jener Zeit eine interessante Vorwegnahme der später sich als notwendig erweisenden US-Politik. Die enorme politische Abhängigkeit Österreich-Ungarns von Deutschland und die unmöglich erscheinende Reorientierung der Donau­monarchie zu einem Machtfaktor, der als Gegengewicht zum Berliner Drang nach Südosten dienen könnte, überzeugten Lansing, daß nur eine Alternative existierte: die Auflösung der Donaumonarchie in eine Reihe von germanophoben Nationalstaaten, die in ihrer slawisch motivierten Gegenstellung zu Deutschland den zumindest vorübergehend als Macht­faktor abgetretenen russischen Giganten ersetzen könnten. Schon am 24. Oktober 1917 forderte Lansing einen Kordon starker, volkreicher und unabhängiger Staaten „to counterbalance German military power“ 5). Zu­nächst allerdings stand Lansing mit dieser Forderung noch in scharfem Widerspruch zu Wilson, der Österreich-Ungarn in der alten Form zu er­halten bestrebt war; beiden gemeinsam war jedoch die Furcht vor einer deutschen Hegemonie in Europa, die im Endeffekt auch eine Konkurrenz für die USA auf den Weltmärkten bedeutet hätte. Während auch die berühmten Vierzehn Punkte Wilsons6) noch von einer Weiterexistenz Österreich-Ungarns ausgingen, erfolgte, verursacht durch die Sixtusaffäre und deren Folgen sowie durch Brest-Litowsk, einige Monate danach eine langsame Reorientierung der US-Politik7). Nachdem bald nach dem Sixtusskandal deutlich geworden war, daß sich die Abhängigkeit Wiens von Berlin noch steigerte, schwand jede Hoff­nung Washingtons auf einen Sonderfrieden, auf eine Separierung Wiens von Berlin, was so lange das politische Programm gewesen war. Damit mußte zwangsläufig Lansings Konzept von der Zerlegung der Donau­monarchie in volkreiche und starke germanophobe Nationalstaaten ins Spiel kommen, zumal Lansing nun immer mehr auf eine endgültige Entscheidung den österreichischen Slawen gegenüber drängte und im April 1918 in Rom der „Kongreß der unterdrückten Nationalitäten“ der Habsburgermonarchie getagt hatte8). Unter diesem Eindruck verfaßte 5) George Bárány Wilsonian Central Europe. Lansing’s Contribution in The Historian 28 (1966) 229. 6) Die Vierzehn Punkte sind an zahllosen Stellen im Wortlaut abgedruckt. Hier zitiert nach: Harry R. Rudin Armistice 1918 (New Haven 1944) 412—421. Rudin bringt auch das dazugehörige „Cobb-Lippmann-Memorandum“, das eine Interpretierung und Kommentierung der Vierzehn Punkte von größter Wichtig­keit enthält. 7) Zur Sixtusaffäre Robert A. Kann Die Sixtusaffäre und die geheimen Friedensverhandlungen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg (Österreich Archiv, Wien 1966). Zur US-Politik gegenüber Mitteleuropa im allgemeinen Victor S. Mamatey The United States and East Central Europe, 1914—1918 (Princeton, N. J. 1957). 8) Mamatey US and East Central Europe 243 ff und Leo Valiani La dissoluzione deli’Austria-Ungheria (Milano 1966) 344 ff. 28»

Next

/
Oldalképek
Tartalom