Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HEINDL, Waltraud: Die Wiener Nuntiatur und die Bischofsernennungen und Bischofsenthebungen in Ungarn 1848–1850

Die Wiener Nuntiatur und die Bischofsernennungen in Ungarn 1848—1850 401 besondere Verhältnisse. Das angebliche Legatenrecht des rex apostolicus, zum Teil die Territorialhoheit und das landesfürstliche Oberpatronats­recht schufen hier eine Rechtslage, welche die Regierung in Budapest zu weitreichenden Forderungen an den Vatikan veranlaßten 5). Zum Legatenrecht glaubte man den ungarischen König auf Grund der Tatsache berechtigt, daß er Nachfolger des Hl. Stephan war e), dem Papst Silvester II. im Jahre 1000 Königskrone und Königstitel samt „ausgedehn­ten Befugnissen über die Kirchen des Landes“ überreicht hatte, u. a. auch das Recht, alle Bischöfe nach der herrschenden Lehre zu ernennen 7 8). In der Folge wurden zwar die Rechte des ungarischen Königs eingeschränkt, seit Sigismund (als ungarischer König 1387—1437) begannen die Köni­ge aber wieder das alte Ernennungsrecht zu üben. Der Niedergang des Papsttums im 15. Jahrhundert verursachte das Wiedererwachen des landesherrlichen Einflusses auf die Kirche, und in der Folge kam es zur Ausbildung eines neuen Rechtsinstituts, des landesfürstlichen Ernennungs­rechts s). Als einziges Land besaß Ungarn sozusagen einen „durch päpst­liches Privileg legitim geschaffenen Vorläufer“, nämlich das dem König Stephan gewährte Ernennungsrecht9). In Verbindung mit der Schwächung des Papsttums entwickelte sich in Ungarn seit dem 15. Jahrhundert auch ein sogenanntes königliches Ober­patronatsrecht, wie es in den österreichischen Erbländern nie bestanden hatte. Der Ursprung dieses jus supremi patronatus ist nach der neuesten Forschung auf eine sehr weit interpretierte Urkunde aus dem Jahre 1417 zurückzuführen, die aber im Grunde dem ungarischen König Sigismund nur ein einfaches Präsentationsrecht verlieh. Bald darauf — und beson­ders unter Matthias Corvinus (1458—1490) — gelang es, dieses Präsenta­tionsrecht als Patronatsrecht zu arrogieren, so daß seit dem 15. Jahrhun­dert die ungarischen Könige als landesherrliche Patrone der katholischen Kirche fungierten. Unter dem Einfluß der staatskirchenhoheitlichen Theo­rien entwickelte sich dieses Patronatsrecht zu einem umfassenden Königs­recht und fand im ungarischen Staatsrecht seine Verankerung 10). Wer­5) Siehe Saurer Bischofsernennungen 16; Goldinger Kaiserliches Nominationsrecht 212. 6) Über das Legatenrecht vgl. Heinrich Marczali Ungarisches Verfas­sungsrecht (Das öffentliche Recht der Gegenwart, Tübingen 1911) 136; P. v. Váczy Stephan der Heilige als päpstlicher Legat in Jahrbuch des Instituts für ungarische Geschichtsforschung in Wien 4 (1934) 27—41. ?) Dazu und zu folgendem vgl. P1 ö c h 1 Kirchenrecht 2, 213 ff und Saurer Bischofsernennungen 16 f. 8) ln Österreich bekam als erster Kaiser Friedrich III. die nominatio regia als persönliches Recht für einige seiner Oberhoheit unterstehenden Bistümer verliehen. «) P1 ö c h 1 Kirchenrecht 2, 215. io) P1 ö c h 1 Kirchenrecht 5, 135 f. Mitteilungen, Band 24 26

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