Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenistischen Bewegung in Wien 301 staltung des Seminars nach den neuen Prinzipien, etwa indem er die alten Lehrer entließ, vermied Migazzi allerdings vorläufig, wohl aus Furcht vor möglichen Reaktionen des Hofes und um nicht in aller Öffent­lichkeit als Verräter an seinen früheren Idealen dazustehen. Umsomehr agierte er im Hintergrund gegen seine früheren Lieblinge, besonders gegen die ehemaligen Alumnen, die nun in der Seelsorge standen. Bald dieser, bald jener wurde herausgegriffen, mit dem bewährten Mittel der anonymen Denunzierung angezeigt, vor das Konsistorium gezerrt, ange­klagt und gemaßregelt93). Gazzaniga klagte in mehreren Briefen an Dupac de Bellegarde, daß seine Schüler verfolgt würden. Es sei, als ob die Pfarrer sich verschworen hätten, keine Absolventen des Seminars als Kooperatoren anzunehmen95 96). Hinter den Pfarrern stand natürlich der Bischof, der jetzt besorgt war, daß andere Leute als früher die besten Stellen erhielten. Besonders verhaßt war Migazzi die rigoristische Beicht­praxis, die die ehemaligen Seminaristen übten und die er gewöhnlich mit der Strafe der Suspension vom Beichthören ahndete. Die Jesuitenaufhebung im Jahre 1773 brachte keine Erleichterung, sondern verschärfte im Gegenteil die Lage noch. Der Kardinal, der sehen mußte, daß sein Vorgehen im großen und ganzen doch nur wenig Er­folg gezeitigt hatte und er noch weit von dem gesteckten Ziel entfernt war, begann nun, langsam sein Seminar mit stellenlos gewordenen Exjesuiten, deren Förderung er sich selbstverständlich in jeder Hinsicht angelegen sein ließ, zu durchsetzen97). Einem von ihnen, P. Mazzioli, erlaubte er (oder befahl er sogar), am Gründonnerstag 1774 in der Dom­kirche vor versammeltem Kapitel und Klerus eine Predigt voller Invek- tiven gegen die Verteidiger der „gesunden Doktrin“ zu halten. Viele Zuhörer baten daraufhin die Seminarlehrer, diese Beleidigungen nicht ungestraft zu lassen und vom Erzbischof Genugtuung zu verlangen. Sie schlossen sich daher einer Klageschrift von sieben Theologen an, die sich über die Predigt beschwerten, um Schutz vor den Verleumdungen der Exjesuiten ersuchten und von P. Mazzioli die Zurücknahme seiner be­leidigenden Worte verlangten. Um den Schein des Rechts zu wahren, brachte Migazzi die Angelegenheit vor das Konsistorium, wo man einige Wochen lang darüber debattierte. Gegen seine Gewohnheit erschien der Erzbischof am Tage der Urteilsverkündigung im Konsistorium, um per­sönlich dessen Vorsitz zu übernehmen. Er brach in eine lange Anklage gegen die Lehrer und Priester aus dem Seminar aus und beschuldigte sie, den Propst von St. Dorothea, Müller, den verstorbenen Bischof Stock 95) Einige Beispiele in Nouvelles Ecclésiastiques 50 (1777) 16; 52 (1779) 21 ff; 56 (1783) 130. **) RA Utrecht Fonds PR 2234, 1771 August 1, September 13, Oktober 24, 1772 September 14. 97) Vgl. nebst den in Anm. 46 genannten Berichten noch Nouvelles Ecclé­siastiques 47 (1774) 185; 49 (1776) 95 f.

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