Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenistischen Bewegung in Wien 293 reich nicht seltenen aufgeklärten Reformbischöfe gehört, sondern sogar den Jansenismus in Österreich entscheidend gefördert hat, ja zusammen mit Ambros Simon Stock indirekt als Gründer der jansenistischen Be­wegung in Wien angesehen werden kann. Es wäre nun aber zweifelsohne wenig angemessen, den Bischof ohne jede Einschränkung einen Janseni- sten zu nennen, besser würde auf ihn ein Begriff wie „Philojansenist“ passen. Der fanatische Eifer etwa eines Scipione de Ricci, des bekannten jansenistischen Bischofs von Pistoia, lag Migazzi bei aller Entschiedenheit, mit der er seine Ansichten vertrat, völlig fern; eher ist er mit französi­schen Bischöfen, wie Louis-Antoine de Noailles, Erzbischof von Paris, oder mit seinem Zeitgenossen Antoine Malvin de Montazet, Erzbischof von Lyon, zu vergleichen, die ebenfalls mit der jansenistischen Bewegung sympathisierten und sie förderten, ohne sich aber, schon aus Vorsichts­gründen, mit ihr völlig zu identifizieren und sie in allem und jedem zu unterstützen. Andererseits kann man auch nicht, wie Wolfsgruber und Kerker es tun, behaupten, Migazzi sei im Grunde genommen immer ein getreuer Anhänger des Alten gewesen und habe die reformerische Akti­vität, die sich seit seinem Regierungsantritt in seiner Wiener Diözese ent­faltete, nur gerade widerwillig geduldet55 56). Zwei Fragen stellen sich nun, nämlich: wo und wann ist Migazzi zu seinen reformerischen Ideen und zu seiner philoj ansenistischen Haltung gekommen und weshalb und wann hat er sie wieder aufgegeben, um auf die Seite der Reaktion zu treten? Mit dem Jansenismus häufig aber nicht notwendigerweise verbunden sind antirömische kirchenrechtliche Theorien: gallikanische, konziliare, episkopalistische. Ob und inwieweit Migazzi diese Auffassungen in seiner Frühzeit geteilt hat, ist schwer auszumachen, einige Indizien, wie die Wertschätzung Fleurys, der Exemptionsstreit mit den Jesuiten und die Bemerkung Wittolas über seine durch Migazzi erfolgte Bekehrung vom „Hildebrandismus“, lassen es immerhin als möglich erscheinen50). Fragt man, wo Migazzi diese Anschauungen kennengelernt habe, so muß man auf sein Jusstudium bei Joseph Riegger in Innsbruck verweisen 57). Rieg- ger, Professor für Naturrecht an der dortigen Universität, führte den bekannten jansenistischen Kanonisten Zeger-Bernard van Espen in Öster­reich ein und war auch ein Verehrer Fleurys58); damit wurde er zum Vater jener antirömischen Kanonistik, die sich seit den sechziger Jahren 55) Wolfsgruber Migazzi 292 und Anm. 46. Auch Winter meint noch, Migazzi sei den Neuerern nur entgegengekommen, innerlich aber ein Anhänger der alten Richtung geblieben (Josefinismus 39). 56) Vgl. oben S. 287. 57) Wolfsgruber Migazzi 12. 58) Neueste Beiträge 2 (1791) 259. Vgl. zum Einfluß Rieggers Ferdinand M a a s s Der Früh josephinismus (Forschungen zur Kirchengeschichte Öster­reichs 8, Josephinische Abteilung 3, Wien 1969) 76—87.

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