Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

290 Peter Hersche klar erkannt, daß alle seine Reformbestrebungen auf dem Papier bleiben mußten, wenn ihm nicht ebenso reformwillige untergebene Priester hal­fen, sie zu verwirklichen. Sie heranzubilden, gründete Migazzi sein Seminar; mit ihm sollte eine Musterschule für künftige Seelsorger ent­stehen. Das Priesterseminar stand im Mittelpunkt von Migazzis Reform­plänen, es war seine Lieblingsschöpfung, es wurde sein Schmerzenskind. Denn bei der bekannten Einstellung des Kardinals wird man sich nicht wundern dürfen, daß sein Seminar die wichtigste Pflanzschule des Janse­nismus in Österreich wurde — schon zwanzig Jahre vor dem bekannteren jansenistischen Seminar in Brünn * 47). In der Tat wurden in Migazzis Se­minar zwar nicht die führenden Köpfe der Bewegung, was z. T. alters­bedingt war, wohl aber die große Schar der Jansenisten der zweiten Garnitur im Geiste der „gesunden Doktrin“ erzogen. Einige blieben zeit­lebens einfache Landpfarrer, viele von ihnen aber gelangten später als Hofbeichtväter, Universitätsprofessoren, theologische Schriftsteller, Über­setzer, Bücherzensoren usw. zu einflußreichen Stellen und bemühten sich darin tatkräftig, die Ideen, die sie im Seminar aufgenommen hatten, weiter zu verbreiten 48). So wird das spätere böse Wort des zum Ultra­montanismus und zur Reaktion übergegangenen Kardinals verständlich, er habe im Seminar Schlangen am Busen genährt. Bis zu Migazzis Zeiten hatte die Erzdiözese Wien kein eigenes Priesterseminar gehabt. Es bestanden nur sechs von Kardinal Kiesi 1618 im Jesuitenkolleg St. Barbara gestiftete Freiplätze für unbemittelte Priesterkandidaten. Als erste Maßnahme entzog Migazzi die sechs Sti­pendiaten den Jesuiten und übersiedelte sie in ein neueingerichtetes Haus nahe der Domkirche St. Stephan. Mit Hilfe Maria Theresias und adeliger Damen, sowie mit eigenen Mitteln erhöhte er die Zahl der Freiplätze stufenweise auf zwanzig. Als Gründungsdatum des Seminars kann der 31. Oktober 1758 angesehen werden. Seitdem studierten die Alumnen die auf Blarer zurück. Dies umsomehr, als Blarer 1784 nach Deutschland reiste und dabei auch nach Göttingen kam, wo er den Publizisten vielleicht persönlich kennengelernt hat. Auf die beiden gedruckten Berichte hat schon Moriz Ker­ker aufmerksam gemacht (Wanderungen des Jansenismus durch die katholi­schen Staaten Europas in Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 86/87 [1880/81] 724 ff). Jedoch verdreht er die Quellenaussagen und verkennt völlig die Intentionen Migazzis, wenn er behauptet, dieser habe die Zustände in seinem Seminar aus allzugroßer Arglosigkeit bloß geduldet. Wie Wolfsgruber und aus denselben Beweggründen sucht Kerker den Erzbischof vom Makel des Reformers zu reinigen. 47) Zum Seminar in Brünn vgl. Winter Josefinismus 136—139. 48) An dieser Stelle können nur die Namen der später als Jansenisten be­kanntgewordenen Alumnen genannt werden. In der Reihenfolge ihres Eintritts sind es: Georg Mayer, Anton Ruschitzka, Franz Hoffmann, Ferdinand Stöger, Michael Domfort, Bernhard Angstenburger, Joseph Lauber, Johann Bapt. Ehart, Franz Schwarzenbach, Joseph Strohmayer, Franz Giftschütz, Franz Ziegler, Wenzel Schanza, Joseph Mayer, Laurenz Altinger und Bernhard Michel.

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