Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen

Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915 285 Kämpfe gegen Österreich-Ungarn abzulenken wünschten 168). Das Drän­gen der Entente, Gebietsversprechungen im Osmanischen Reich und die Hoffnung, die Balkanstaaten mitzureißen, bewogen die römische Regie­rung schließlich am 21. August, der Türkei den Krieg zu erklären. Am militärischen Kräfteverhältnis änderte dieser Schritt nicht das ge­ringste; auf dem Balkan blieb er wirkungslos, und zur Beteiligung italienischer Truppen an den Dardanellenkämpfen kam es auf Grund der strikten Weigerung Cadornas ebenfalls nicht. Der Generalstabschef war einer Entsendung größerer Verbände auf Nebenkriegsschauplätze grund­sätzlich abgeneigt, so daß er auch das englische Ersuchen, zum Schutze Ägyptens Mannschaften nach Libyen zu beordern, mit dem Hinweis auf die Erfordernisse der Kriegführung gegen die Donaumonarchie abschlägig beschied158 159). Die gleiche Abfuhr erhielt Rußland, als es im Spätherbst die Landung einer italienischen Streitmacht in Saloniki in Erwägung zog. Im Orient hatte der Kriegseintritt Italiens dem Dreiverband keinerlei Entlastung gebracht, wenn er auch umso stärker das künftige Schicksal Österreich-Ungarns beeinflußte. Diesem Verbündeten verdankte das Os- manische Reich das Fernbleiben italienischer Heere, das nicht zuletzt auf die vorausgegangenen Bemühungen der Diplomatie des Kaiserreiches zurückzuführen war. IV Dieser Abschnitt behandelt ein Thema nicht eigentlich politischer Ge­schichte, wenn die hier unternommenen Verhandlungen und Initiativen auch unter der Ägide des österreich-ungarischen Außenministers und seines Botschafters in Konstantinopel vor sich gingen. Sie waren jedoch nicht auf diplomatische, wirtschaftliche oder militärische Zweckmäßigkeit, sondern rein auf das Prestige des Kaiserreiches und seiner Katholizität ausgerichtet. Viele Anregungen kamen von privater Seite, die offiziell angesichts der Haltung des jungtürkischen Regimes nicht einmal auf ge­griffen werden durften. Es wird keine Historie des Kultusprotektorats im ersten Kriegsjahr, sondern die seines Endes zu schreiben sein. Das Schutzrecht einer europäischen Macht, Frankreichs, über die Christen im Orient besaß eine jahrhundertealte Tradition. Ob es erst aus dem 16. oder schon aus dem 13. Jahrhundert stammte, Tatsache bleibt, daß das Königreich und später auch die Republik diese Vorrangstellung bewahren konnten, obgleich andere Staaten nachdrängten. Mit jedem Friedensvertrag, den das Osmanische Reich zu unterzeichnen gezwungen war, gestand es den Großmächten Privilegien zu, die in Bausch und Bogen „Kapitulationen“ genannt wurden. Sie bestanden aus juridischen, wirt­158) pa. XL 272 (Interna, Konfidentenber. 1915) Nr. 283: 6. VIII. 15 Konstan­tinopel. 159) Zeitgeschichte (wie Anm. 39) 393.

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