Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20. (1967)
BRETTNER-MESSLER, Horst: Die Balkanpolitik Conrad von Hötzendorfs von seiner Wiederernennung zum Chef des Generalstabes bis zum Oktober-Ultimatum 1913
210 Horst Brettner-Messler Es ist begreiflich, daß diese Mitteilungen den Chef des Generalstabes nicht friedfertiger stimmten 67). Auch die andauernde Verzögerung einer Entscheidung der Londoner Réunion war nicht dazu angetan auf den temperamentvollen Generalstabschef beruhigend einzuwirken. In einer Unterredung mit dem Außenminister erhob er gegen die Auffassung, ein Krieg gegen Montenegro dürfe nur die Räumung Skutaris zum Ziele haben lebhaften Einspruch und forderte die vollständige .. Einverleibung Montenegros.“ Die berechtigten Einwände Berchtolds, daß die Mächte dazu ihre Zustimmung verweigern würden, schob er mit der kühnen Bemerkung zur Seite, „ . . . daß nach einem Waffenerfolg alles ganz anders aussehe 68).“ Der Außenminister der sich bemühte, zumindest Italien zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen — um jeden Anschein einer Brüs- kierung zu vermeiden — erhielt am 30. IV. eine Antwort aus Rom, die darauf hinauslief eine Lösung der Krise noch weiter zu verschleppen 69). Am gleichen Tag referierten Berchtold und Conrad in Schönbrunn über die letzten Ereignisse. Trotz der wenig befriedigenden Antwort aus Rom, wollte der Außenminister dennoch versuchen, die Unterstützung Italiens zu gewinnen und faßte zu diesem Zweck Zugeständnisse in Südalbanien ins Auge. Der Chef des Generalstabes drängte hingegen auch jetzt aus militärischen und politischen Erwägungen auf rasches Handeln. Sollte sich Montenegro nach dem Mobilisierungsbefehl auch geneigt zeigen nachzugeben, dürfe dies nicht mehr akzeptiert werden 70). Am 1. Mai traf auf dem Ballhausplatz die Nachricht von der Ablehnung der Kollektivdemarche durch die montenegrinische Regierung ein 71), und Conrad forderte hierauf vor dem Kaiser neuerlich ein bewaffnetes Einschreiten, gleichgültig „ ... ob Italien mitgehen wolle oder nicht“, während der Minister des Äußeren nicht auf eine Zusammenarbeit mit dem Bundesgenossen verzichten wollte. Erst wenn diese trotz aller Bemühungen nicht erreicht werden konnte, sollte selbständig gehandelt werden 72). Inzwischen machte sich jedoch ein gewisser Wandel in der Haltung Montenegros bemerkbar. Der montenegrinische Vertreter bei der Lon67) Conrads Einschätzung der politischen Lage nach dem Erhalt dieser Berichte (Hubkas, Tanczos und Szeptyckis) geht aus seinem Schreiben an Berchtold vom 29. IV. 1913 (A. M. D. Ill S. 286 f) hervor. 68) A. M. D. Ill: S. 283 f. (Unterredung Conrads mit Berchtold vom 29. IV. 1913). 69) Ebenda: S. 284. (Antwortnote Italiens vom 30. IV. 1913. Der genaue Text der Note befindet sich in Ö.-U. A. VI n. 6839). Weiters Hantsch: Graf Berchtold I S. 410 f. 70) A. M. D. Ill: S. 284 ff. (Audienz Conrads bei Franz Joseph am 30. IV. 1913). Hantsch: Graf Berchtold I, S. 411. 71) Ö.-U. A. VI: n. 6835. Hantsch: Graf Berchtold I, S. 411. 72) Hantsch: Graf Berchtold I, S. 411 ff. In A. M. D. findet sich kein Hinweis auf diese Audienz.