Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20. (1967)

BRETTNER-MESSLER, Horst: Die Balkanpolitik Conrad von Hötzendorfs von seiner Wiederernennung zum Chef des Generalstabes bis zum Oktober-Ultimatum 1913

Die Balkanpolitik Conrad v. Hötzendorfs 209 Schlagfertigkeit einzelner Teile der Wehrmacht empfindlich beeinträch­tigen können 64).“ Der österreichisch-ungarische Militärattache in Athen Tanczos berich­tete über eine Unterredung mit dem serbischen Gesandten in der grie­chischen Hauptstadt Boskovic. Der serbische Diplomat meinte, daß die Donaumonarchie bei Kriegsausbruch zwei Möglichkeiten gehabt hätte: a) Sie hätte durch eine friedliche Haltung die Spannungen zwischen den Balkanstaaten zu vermeiden und diese für sich zu gewinnen getrachtet. b) Die Monarchie hätte energisch Vorgehen und so beweisen müssen, daß eine Neuorganisation des Balkans ohne Österreich-Ungarn unmöglich sei. Serbien habe von Anbeginn an ein Nichteingreifen der Donaumonarchie geglaubt. Bulgarien sei eine russische Schöpfung, Serbien verdanke dagegen seine Eigenständigkeit zu zwei Dritteln eigener Kraft und nur zu einem Drittel Rußland. „Daß wir es 1885 zu s/s gerettet haben, darüber ging Herr B[oskov]ic mit Stillschweigen hinweg.“ Man fordere andauernd, daß Albanien eine gewisse Größe haben müsse, fuhr Boskovic sodann fort, um die Mindesgröße Serbiens kümmere sich jedoch niemand. Angesichts der großen Opfer Serbiens und Monte­negros für Skutari sei es ungerecht, die Stadt Albanien zuzuerkennen. Wenn man darauf hinweise, daß Skutari albanisch sei, so müsse man dagegen einwenden, daß Österreich-Ungarn bei der Annexion Bosniens und der Herzegowina auch nicht nach der Nationalität der Bevölkerung gesehen habe 65). Aus Rom berichtete Militärattache Szeptycki von einer Unterredung mit einer Person aus der nächsten Umgebung General Pollios. Dieser Gewährsmann teilte dem Militärattache mit, daß zwischen der Haltung der italienischen Regierung und der öfftenlichen Meinung große Differen­zen bestünden. Während die öffentliche Meinung ganz auf der Seite Montenegros stehe, bemühe sich die Regierung um ein gutes Verhältnis zur Monarchie. Um diesem Dilemma zu entrinnen, hoffe man, die Monar­chie würde „ . . . auf eigene Faust über Montenegro herfallen . . .“, denn dann könnte die Regierung unpopuläre Maßnahmen vermeiden. Auf die Frage Szeptyckis ob Italien gemeinsam mit Österreich-Ungarn gegen Montenegro militärisch Vorgehen würde, erhielt er die Antwort: „Wir können dies nicht machen, wird würden sofort eine Revolution im Lande haben 66).“ 64) K. A.: C.-A. Fasz. B 3. (Bericht Hubkas vom 25. IV. 1913, Res. Nr. 218, präs. 28. IV. 1913). In A. M. D. Ill S. 277 f. ist dieser Bericht auszugsweise wieder­gegeben. 6ä) K. A.: Ch. d. Gstbs., Evb. Fasz. 5540. (Bericht Tanczos vom 19. IV. 1913, Res. Nr. 132, präs. Ch. d. Gstbs. 27. IV. 1913, ges. A. M. 9. VI. 1913, Evb. Nr. 2067), 66) A. M. D. Ill: S. 287. (Bericht Szeptyckis vom 27. IV. 1913, präs. 30. IV. 1913). Mitteilungen, Band 20 14

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