Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)

NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte

694 Literaturberichte Das Buch behandelt eine entscheidende Übergangsperiode der britischen Außenpolitik von der viktorianischen Tradition der freien Hand zu dem beginnenden neuen und, wie Grenville meint, fragwürdigen Kurs der teil­weisen Bindung, erfüllt von zahlreichen schwerwiegenden Problemen, dem Aufstieg Deutschlands, der russischen Expansion, dem Wandel der Lage in Ostasien, der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in Mittelamerika, den afrikanischen Fragen, dem wachsenden Nationalismus und dem rela­tiven Absinken der britischen Wirtschaftsmacht. Grenville gliedert die gewaltige Stoffmasse in vier Teile: Salisbury und die Tradition der britischen Außenpolitik (1895—98), Salisbury und Chamberlain, der Kampf um die Kontrolle der Politik (1898/99), Krieg und Diplomatie (1899—1900) und schließlich Lansdowne und der neue Kurs der britischen Diplomatie (1900—1902). Innerhalb .dieser vier Abschnitte behandelt er die einzelnen außenpolitischen Probleme in sich geschlossen, versteht es aber meisterhaft, auf die vielfältigen Verbindungen immer wieder nachdrücklich hinzuweisen. So entsteht ein packendes Bild einer wahrhaft weltweiten Politik mit ihren zahlreichen Verflechtungen, den enormen Schwierigkeiten, Problemen und Gefahren, besonders lehrreich für den kontinentalen, doch vorwiegend auf europäische Maßstäbe eingeengten Leser. Dies wird vor allem bei den deutsch-englischen Allianzbemühungen recht deutlich und gibt dem Problem eine viel größere Tiefe, zumal auch die grundlegende Verschiedenheit in der Mentalität der Staatsmänner auf beiden Seiten sehr klar herausgearbeitet ist. Zunächst entwirft Grenville ein sehr lebendiges Bild vom Charakter und den Arbeitsgewohnheiten Salisburys. Tiefer religiöser Glaube, ein star­kes ethisches Empfinden, das ihn dazu trieb, Kriege möglichst zu ver­meiden, literarische Bildung und naturwissenschaftliche Interessen — er besaß ein eigenes Laboratorium und betrachtete die Politik als hinderlich für seine wissenschaftliche Arbeit — ein gewisses aristokratisches Miß­trauen gegen die Demokratie, von der er die Zerstörung der typischen englischen Institutionen befürchtete, verbunden mit Überschätzung der Bedeutung der öffentlichen Meinung, eine geringe Fähigkeit, andere zu überzeugen, welche zur Folge hatte, daß er wiederholt im Kabinett über­stimmt wurde, — dies sind einige der wesentlichen Züge dieses eigenarti­gen, sehr englisch anmutenden Mannes, die sich auch in seiner Politik ausprägen. Sehr interessant sind einige Hinweise auf die Quellenlage, vor allem auf den Umstand, daß in viktorianischer Zeit die Minister Teile ihrer Korrespondenz beim Scheiden aus dem Amt mitnahmen, schon um die Publikation in Blaubüchern zu vermeiden. Bei Salisbury lag das Schwergewicht nicht auf den „Privatbriefen“, die er nur an wenige Diplomaten schrieb, sondern bei der amtlichen Korrespondenz. Er pflegte die Amtsakten mit großem Eifer durchzuarbeiten, allerdings am liebsten nicht im Foreign Office, sondern auf seinem Schloß. Bedeutsam ist Salis­bury’s Grundsatz, daß nur der verantwortliche Minister, nicht das stän­dige Personal des Foreign Office die Politik bestimmen dürfe. Grenville betont weiter, daß den Herausgebern der britischen Aktenpublikation, die sich über die spärliche Quellenlage beklagten, einige wichtige Schrift­stücke aus dem Archiv des Foreign Office entgangen sind. Dann wendet er sich gegen einige Mißdeutungen der Politik Salisburys, die zum Teil

Next

/
Oldalképek
Tartalom