Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte
Sammelreferate 687 Bundesgenossen den Vortritt ließ. Der innere Aufbau des Ustascha-Staates wird mit schonungsloser Kritik aller seiner Probleme und grausamen Gegensätze geschildert. In seiner ideologischen Fundierung folgte das Ustascha- Regime etwa in der Rassenfrage dem Nationalsozialismus, in anderer Hinsicht dem italienischen faschistischen Vorbild. Auf eigenständigem Programmgut aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg beruhte der erbitterte konfessionelle Kampf gegen die Orthodoxen. Hier hat die Haltung einflußreicher Kreise der katholischen Kirche viel Schaden gestiftet und macht manche Erscheinungen der Nachkriegszeit begreiflicher. Mit der Kapitulation Badoglios begann für Pavelic und seine Anhänger eine neue Epoche. Die immer schärfer werdenden blutigen Auseinandersetzungen mit den Partisanen Titos und den Tschetniks ließen das Ustascha- Regime, das in breiten Schichten des kroatischen Volkes nie beliebt war, nicht zur Ruhe kommen. Die Autoren lassen auch keinen Zweifel an der fundamentalen ideologischen Schwäche des Regimes bestehen. So war das im eigentlichsten Sinn des Wortes reaktionäre System des „Poglavnik“ letzten Endes schon längst gescheitert und sein Urteil gesprochen, lange bevor die militärische Entscheidung gegen Deutschland gefallen war. Wie die grausamen Exzesse der Ustascha in der Darstellung nicht verschwiegen werden, so schildern die Verf. auch in schonungsloser Offenheit die blutige Rache der Partisanen. Dennoch wird der in die Zukunft weisende Charakter der Bewegung Titos hervorgehoben. Die als Nummer 9 der Reihe erschienene zeitgeschichtliche Literaturstudie von Geißler geht den Wurzeln des totalitären Dirigismus der völkisch-nationalsozialistischen Literatur nach, die sie in der Epoche des Ersten Weltkrieges findet. Die Arbeit hebt sich insofern von der heute üblichen ästhetisierenden Methode der Germanistik ab, als sie auch den Mut zu Wertungen findet. Sie ist für uns deshalb wichtig, weil sich auf beiden Seiten auch genug Dichter und Schriftsteller aus Österreich, darunter sehr namhafte, finden. Dabei ist es jedoch erfreulich, daß gerade die von den Nazis verbrannte und verfemte entheroisierende „Dekadenzliteratur“ im österreichischen Geistesleben vielfachen Ausdruck gefunden hat. Besonders an den Beispielen von Werken Schnitzlers, J. Roth und Brochs kann der Verfasser Antinomien von Heimatdichtung und Zeitroman, Dekadenz und Heroismus u. dgl. dem Leser deutlich machen. Die Studie geht aber über das rein Literarische und rein Zeitgeschichtliche hinaus, indem sie in sozialgeschichtliche und geschichtsphilosophischerkenntnistheoretische Bereiche vorstößt. Eindeutig geht gerade aus der literarischen Gegensätzlichkeit von heroischem und dekadentem Schrifttum hervor, wie sehr der Nationalsozialismus sozial an die Grenze zwischen Bürgertum und Kleinbürgertum einzuordnen ist, ein Produkt der Zersetzung und Auflösung des alten deutschen Mittelstandes. Und gerade aus dieser sozialgeschichtlichen Situation ergab sich, daß die „Dekadenten“ den Sinn der geschichtlichen Situation erfaßten, während die „Heroischen“ sich im politischen Mystizismus verloren. So wird die Beschäftigung mit dieser Studie nicht nur für den Literar- und Zeithistoriker nötig sein, sondern für jeden von Nutzen, der sich mit Fragen der geschichtlichen Erkenntnis beschäftigt.