Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)

THOMAS, Christiane: Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866

Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866 293 sichtig war es anzuwenden, um nicht den Fehler zu begehen, zu sehr dem Zeitgeschmack nachzugeben! Künstlerisch Wertvolles stand neben material­mäßig Wertvollem, staatsrechtlich Wertvolles neben Dingen, die sich durch ihren Symbolgehalt auszeichneten. Kleinodien wie Meteorite, Dokumente der Staatskanzlei wie Renaissancepokale, antike Münzen wie Rüstungen, Exemplare der Mineraliensammlung wie kostbare Handschriften waren nach dem Gesichtspunkt des Wertvollen zu berücksichtigen. An welche Prinzi­pien hatte sich z. B. der Schatzmeister, der kein für Kunstgewerbe und Plastik spezialisierter Wissenschaftler war, bei der Beurteilung von Wert und Unwert zu halten? Sein eigenes Urteilsvermögen hätte ihn wahrschein­lich veranlaßt, die Kristallgefäße der Künstlerfamilie Miseroni mitzuneh­men, die nach einem Dictum der kontrollierenden Hofstaatsbuchhaltung aus dem Jahre 1862 „in die Rumpelkammer geworfen“ werden sollten27). Wie hätte sich Seidl rechtfertigen können, wenn man seinen Vorschlag, eine künstlerisch wertlose Lindenholzschnitzerei28) auf die Bergungsliste zu setzen, nach Jahren kritisiert hätte? Charakteristischerweise lautete der Titel für Seidls Aufstellung „Verzeichnis des Werthvollsten unter dem Werthvollen“ 27 28 29): für ihn war es nicht zu bezweifeln, daß die Sammlung als Ganzes wertvoll war, daß eine Unterscheidung und Ausscheidung inner­halb dieses Wertbestandes ein fast unlösbares Bemühen war. Arneth wie­derum äußerte etwas spöttisch, er könne sich „noch heute“, d. h. bei Ab­fassung seiner Memoiren, bei der Betrachtung der Auswahlliste „eines Lächelns nicht erwehren.“ Nach seinem Dafürhalten sollte man nur eine geringe Anzahl von Archivalien in Betracht ziehen, deren Verlust an die Preußen „für Österreich demütigend gewesen wäre“. Es wäre ein „Schimpf“, wenn man in Berlin die Pragmatische Sanktion „als Symbol des über uns errungenen Triumphes besessen und gezeigt hätte.“ „Lebhaf­teren“ Widerspruch hätte er nicht erhoben, da durch Verpackung und Ver­sendung kein Schaden entstehe30). Der Schwierigkeit des Klassifizierens von „minder wertvoll“ und „wert­voller“ war sich auch das Oberstkämmereramt bewußt. Zudem gab es Kunst­werke, die wegen ihrer Zerbrechlichkeit — man denke nur an Elfenbein­arbeiten, Kristallpokale und griechische Vasen — oder ihrer Vielteiligkeit — wie die Harnische der Ambraser Sammlung — nur mit beträchtlicher Mühe und enormem Zeitaufwand zu verpacken waren — wenn man nicht doch auf ihren Abtransport verzichtete. Die erste allgemeine Bestandsauf­nahme Bergmanns hatte ergeben, daß — abgesehen von Gemälden Memlings, Peruginos, Holbeins, Tizians und Clouets, deren Absendung durch die kaiserliche Verfügung storniert wurde — Kristallgefäße, Holzschnitzwerke und Elfenbeinbecher durchaus einbezogen waren. Auersperg glaubte, eine Möglichkeit zur Rettung solcher Gegenstände gefunden zu haben. Dem 27) Schka. Fasz. 19, 1862, Nr. 40. 28) Siehe unten, S. 296 f. 20) OKäA 1866, Rubrik 53, Nr. 1033. 30) Arneth, S. 290.

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