Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)

THOMAS, Christiane: Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866

288 Christiane Thomas Publikum zu gestatten 7). Nach der kaiserlichen Genehmigung vom 11. Mai legte das Oberstkämmereramt die genauen Einzelheiten für die Übertra­gung von Krone, Mitra (dem sogenannten „Kronkäppchen“), Reichsapfel, Szepter und Krönungsornat (Purpurmantel, Stola und dem aus zwei Teilen bestehenden Gürtel) fest, die in „unauffälliger Weise“ als Bahntransport vor sich gehen sollte. Schatzmeister Seidl und der Kanzleidirektor des Oberstkämmereramtes Ritter von Raymond würden — ohne Rücksicht auf eine Ankunft spät abends oder in der Nacht — im Oberstkämmereramt im Schweizerhof bereit sein 8 9). Erst jetzt erhob sich die Frage, wo die Krone und der silberne Stab der Äbtissin der ehemaligen Benediktinerinnenabtei St. Georg auf dem Hrad- schin verbleiben sollten ®): beide Stücke waren nicht unmittelbar Teile des Kronschatzes, aber als Insignien für die Krönung der böhmischen Königin unerläßlich10 *). Nach Ansicht Auerspergs ließen sich diese zwei Kleinodien nicht von den übrigen trennen u). Der Landesausschußbeisitzer Dr. Brauner und der Statthaltereirat Hlawka führten daher am 22. Mai mit detaillierten Beschreibungen aller Objekte auch die beiden Damenstiftsinsignien nach Wien. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, verließ der Zug um 21 Uhr den Prager Bahnhof, erreichte aber wegen der „gegenwärtigen Verhältnisse“ — ein Hinweis auf die durch die Truppenbewegungen der Nordarmee verur­sachten Umstellungen — Wien nicht vor 23 Uhr des 23. Mai. In der Schatz­kammer ließ der Oberstkämmerer die Etuis öffnen, um sich persönlich von der Identität der Gegenstände zu überzeugen. Ihre Deponierung im „lichtleeren Raum“ der Schatzkammer neben dem Schmuckkabinett trug dem Verlangen Rechnung, sie vor dem Publikum zu verbergen. Im Schatz­kammerinventar wurden die „Neuerwerbungen“ mit dem Vermerk „zur zeitweiligen Aufbewahrung“ versehen 12): der durch den kommenden Krieg bedingte Ortswechsel durfte späterhin nicht als Präjudiz für einen stän­digen Aufenthalt der böhmischen Insignien in der Schatzkammer ausge­nützt werden, wie es 80 Jahre früher Joseph II. geplant hatte. Auf diese 7) OKäA 1866, Rubrik 65/2, Konvolut „Überführung der böhmischen Kron- insignien aus Prag nach Wien“, Nr. 741. Auf den zeitweiligen Aufenthalt der Kleinodien in Wien gehen auch ein: Chytil-Podlaha-Vrba, S. 23—29. e) OKäA „Überführung“, Nr. 756. 9) OKäA „Überführung“, Nr. 763. 10) Krone und Stab kennzeichneten die Sonderstellung der Äbtissin, die bei der Krönungszeremonie der Königin gemeinsam mit dem erzbischöflichen Kon- sekrator und dem Oberstburggrafen die Wenzelkrone über dem Haupt der knienden „Coronanda“ hielt. OMeA Zeremoniell-Protokoll (hinfort: ZA Prot.) 56, 1836, fol. 52, 4V. Nach der Säkularisation des Klosters durch Kaiser Joseph II. wurde diese Punktion auf die Äbtissin des Theresianischen Damenstiftes auf dem Hradschin übertragen. Schwarzenberg, S. 51. Diejenige Erzherzogin, die als „Kronenhalterin“ ausersehen war, wurde wenige Tage vor der königlichen Krö­nung mit Ring, Stab und Krone als Äbtissin des Damenstiftes „installiert“. ZA Prot. 56, 1836, fol. 50r—51, P. n) OKäA „Überführung“, Nr. 764. 12) OKäA „Überführung“, Nr. 882.

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