Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
THOMAS, Christiane: Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866
Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866 287 Kostbarkeiten während der napoleonischen Kriege, an ihre mühsame und langwierige Rückführung und Neuaufstellung :!) zwang förmlich dazu, in dieser schwierigen Situation einen wohldurchdachten und gut organisierten gemeinsamen Abtransport aller Teilsammlungen durchzuführen, der ihre Zersplitterung verhinderte und sie vor Plünderungen und Forderungen des siegreichen Feindes schützte. Daß es den kaiserlichen Kustoden und Archivaren gelang, in kürzester Zeit das „Werthvollste unter dem Werthvollen“ — wie Schatzmeister Seidl sein Verzeichnis der ausgewählten Schatzkammerobjekte überschrieb 3 4) — auszusuchen, zu verpacken und in genauen Listen zu erfassen, spricht für ihren Pflichteifer und ihr Verantwortungsgefühl: wenige Tage vom 7. bis 11. Juli genügten, um einen Transport zusammenzustellen, der neben den qualitativ hochstehendsten Kunstwerken — unter Einschluß der staatsrechtlich bedeutungsvollen Insignien — auch die einzigartigen Mineralienschätze des Naturalienkabi- nettes und die unersetzlichen Urkunden und Aktenstücke des Archivs einbezog. Der Versuch, die durch die Kriegsereignisse von 1866 bedingte Verlagerung kaiserlichen Besitzes zu schildern, darf allerdings nicht erst mit den umfassenden Vorbereitungen der ersten Julitage einsetzen. Das Vorspiel zur großen Bergungsaktion der Sommermonate 1866 bildete die Überstellung der böhmischen Kroninsignien von Prag nach Wien im Mai des gleichen Jahres5). Auf Grund eines Hinweises des Statthalterei-Vizepräsidenten Grafen Lazanzk^ und des Oberstlandmarschalls Grafen Rothkirch- Panthen über die Gefährdung der böhmischen Kleinodien wandte sich Staatsminister Graf Belcredi mit der Bitte an Oberstkämmerer Fürst Auersperg, vom Kaiser eine Entscheidung über ein geeignetes Refugium zu erwirken. Man dachte in erster Linie an die Schatzkammer, in der schon unter Kaiser Joseph II. die böhmischen Insignien deponiert waren 6); doch war es, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden, geraten, keine Besichtigung durch das 3) Vgl. die Darstellung Alphons Lhotskys, Die Geschichte der Sammlungen, 2. Hälfte (von Maria Theresia bis zum Ende der Monarchie), S. 511—523 in: Festschrift des Kunsthistorischen Museums, 2. Teil (Wien, 1941—1945). 4) HHSTA, Oberstkämmereramt (hinfort: OKäA) 1866, Rubrik 53, Nr. 1033. 5) Die neueste Monographie der böhmischen Kroninsignien gibt Karl Fürst Schwarzenberg, Die Sankt-Wenzelskrone und die böhmischen Insignien (Wien— München, 1960), der die ältere Literatur verzeichnet. Hervorgehoben werden muß zudem die grundlegende Arbeit: Dr. K. Chytil — Dr. A. Podlaha — Dr. K. Vrba, Die Kroninsignien des Königreiches Böhmen in: Topographie der historischen und Kunst-Denkmale der königl. Hauptstadt Prag (Prag, 1912). Selbstverständlich sind die Kleinodien in dem Sammelwerk der europäischen Kron- juwelen erfaßt: Lord Twining, A History of the Crown Jewels of Europe (London, 1960), S. 47—75. 6) Kaiser Joseph II. war bestrebt gewesen, die Hoheitszeichen seiner Reiche an einem Ort zu konzentrieren und hatte deshalb auch die ungarische Stephanskrone aus Preßburg und den österreichischen Erzherzogshut aus Klosterneuburg in die Schatzkammer bringen lassen. Nach seinem Tod wurden die Objekte jedoch wieder abgegeben. Lhotsky, S. 465 f.