Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)

BLAAS, Richard: Die Anfänge des österreichischen Brasilienhandels

246 Richard Blaas zurück. Auch die meisten diplomatischen Vertretungen folgten dem König und übersiedelten nach Portugal, unter ihnen auch der österreichische Ge­sandte Baron Stürmer. In Rio de Janeiro blieb Baron Mareschal als Lega­tionssekretär und k. k. Agent zurück. Die ihm erteilte Weisung besagte, daß er solange in Brasilien bleiben müsse, solange die Kaisertochter Erz­herzogin Leopoldine sich im Lande befinde91)- Die Erzherzogin sollte nicht das Gefühl haben, von der Heimat völlig abgeschnitten zu sein. Für den Fall aber, daß sich Leopoldine außer Landes begeben müßte, sollte er die Vertretung der österreichischen Interessen einer befreundeten Macht über­tragen und gleichfalls abreisen. Brasilien war sich selbst überlassen. Der Kronprinz hatte als Stellver­treter des Königs weitgehende Vollmachten, aber die Lage beherrschten die portugiesischen Truppen. In Rio de Janeiro herrschten anarchische Zustände, der österreichische Vertreter mußte sich zu seinem persönlichen Schutze vor plünderndem Gesindel eine eigene Leibwache zulegen. Der Ge­gensatz zwischen Portugiesen und Brasilianern kristallisierte sich von Tag zu Tag schärfer heraus. Es ist hier nicht der Ort, auf die weitere politische Entwicklung ein­zugehen und die Rolle zu untersuchen, die Österreich während der Epoche von der Proklamierung der Unabhängigkeit bis zur Anerkennung des neuen Kaiserreiches gespielt hat. Die Darstellung dieser Ereignisse soll in an­derem Zusammenhang versucht werden. Die politischen Wirren in den Jahren zwischen 1821 und 1825 schufen eine völlig neue Lage und bedingten einen ganz neuen Anfang in den Ver­handlungen bezüglich des Handelstraktates. Den Auftakt zur Loslösung Brasiliens vom Mutterlande bildete die berühmt gewordene Erklärung des Kronprinzen vom 9. Jänner 1822 vor der Volksversammlung in Rio de Janeiro, als er den Befehl der portu­giesischen Regierung, nach Lissabon zurückzukehren, mit den Worten ab­lehnte: Da es zum Besten aller und zum Glück der Nation notwendig er­scheint, bin ich bereit. Sagen Sie dem Volke: ich bleibe! Dieses „fico“, ich bleibe, war die erste klare Absage an Portugal und das Signal zur Konstituierung einer nationalen und unabhängigen Bewegung, die am 12. Oktober 1822 Pedro zur Würde eines konstitutionellen Kaisers von Bra­silien emportrug. Zum Kaiser erkoren durch Akklamation des Volkes wurde er am 1. Dezember nach feierlichem alten Ritus zum Kaiser gekrönt und gesalbt; Leopoldine wurde nach portugiesischer Sitte nicht mitgekrönt, war aber durch den Staatsakt und die Huldigung Kaiserin. Die Proklamierung der Unabhängigkeit und die Ausrufung der Volks­monarchie hatten in Wien nicht sonderlich überrascht. Nach den Vorgän­01) St.K. Dipl. Korr. Brasilien, Fasz. 8 a, Weisung vom 15. Mai 1822. — Mareschal wird angewiesen, im Falle seiner Abreise dafür zu sorgen, daß eine der alliierten und befreundeten Missionen den Schutz der „in Brasilien befind­lichen oder später dort anlangenden k. k. Unterthanen, Seefahrer und Handels­leute“ übernehme.

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