Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 15. (1962)

GOLDINGER, Walter: † Gustav Bodenstein (1883–1962)

NACHRUFE Gustav Bodenstein (1883 — 1962) Am 4. April 1962 ist Generalstaatsarchivar i. R. Dr. Gustav Bodenstein ziemlich unerwartet verschieden. Den jüngeren Fachgenossen kaum noch bekannt, ein Mann, der nie das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat, hat er in jahrzehntelanger Berufstätigkeit doch Spuren hinterlassen, die sein irdi­sches Dasein überdauern werden. B. ist am 25. Juni 1883 in Wien geboren, studierte hier Geschichte und klassische Philologie, erwarb den philosophischen Doktorgrad, widmete sich aber nicht dem Lehrfach, sondern trat 1906 als Konzeptspraktikant beim Hofkammerarchiv ein, das damals eine gemeinsame k. u. k. Anstalt war. Es unterstand dem gemeinsamen Finanzministerium, der Archivdirektor Ludwig von Thallóczy war dort Sektionschef. So kam der junge Archivprak­tikant auch mit aktuellen Fragen der Verwaltung von Bosnien und Herzego­wina in Berührung, bereiste unter abenteuerlichen Umständen das Okku­pationsgebiet und hatte Anteil am Ausbau des Landesmuseums in Sarajewo. Seine Liebe gehörte aber doch den Archivalien. Schon nach knapp zehn Dienstjahren fiel ihm die Leitung des Hofkammerarchivs zu, das er mit angeborenem Geschick über die Fährlichkeiten des Kriegsendes und der schlimmen Nachkriegsjahre hinwegzulotsen verstand. 1924 wurde er an das damalige Staatsarchiv des Innern und der Justiz versetzt, dessen Leitung er von 1933—1946 innehatte. Seine organisatorische Begabung, seine Findig­keit, die auch in ausweglos scheinenden Lagen nicht einen, sondern mehrere Gedanken parat hatte, kam diesem von schweren Schicksalsschlägen heimge­suchten Archiv (Brand des Justizpalastes 1927, Bombenschaden 1944) immer wieder zugute. Das meiste davon ist nicht aktenkundig geworden, von den unmittelbaren Mitarbeitern sind wenige mehr aktiv, viele weilen nicht mehr unter den Lebenden. B. ist es zu verdanken, daß aus dem relativ kleinen Staatsarchiv des Innern und der Justiz allmählich ein Zentralarchiv der allgemeinen Verwaltung wurde. Hatte es bis 1938 bereits die meisten Regi­straturen bis 1918 übernommen, so stellten die folgenden Jahre mit der Liquidierung der österreichischen Zentralstellen und den dadurch bedingten Schutzmaßnahmen für ihr Schriftgut, die gegen vielerlei Widerstände durch­zusetzen waren, die größten Anforderungen an B. und seine Mitarbeiter. Ohne den Vorgesetzten hervorzukehren, verstand er diese zu leiten. Niemals hat man ihn aufgeregt gesehen, oft hat er seine Untergebenen auch in pri­vaten Angelegenheiten beraten. Die Gewinnung des Hauses in der Wallner- straße war B. ureigenstes Verdienst. An jenem unheilvollen September-

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