Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 13. (1960)

BRUSATTI, Alois: Unternehmensfinanzierung und Privatkredit im österreichischen Vormärz

Unternehmensfinanzierung- und Privatkredit im österr. Vormärz 339 tanenverbandes hinaus Bestand hatten. Dennoch waren diese Waisenkassen natürlich kaum geeignet, große Kapitalien zu sammeln und hatten — ähn­lich wie die Sparkassen in der Stadt — einen mehr sozialen als wirtschaft­lichen Wert. So standen die Ersparnisse des Volkes nur im geringen Maße der Finanzierung wirtschaftlicher Unternehmen zur Verfügung; vor allem hatte es demnach der kleine Gewerbetreibende schwer, sich Kapital zum Ausbau seines Geschäftes zu verschaffen. „Die kleinen Firmen, welche über keine direkte Bankier-Verbindung verfügten, mußten sich der zweiten und dritten Hand bedienen und auch Sätze von 7 bis 8% bewilligen, während Gewerbsleute, wenn sie überhaupt Kredit fanden, geradezu dem Wucher ausgeliefert waren“ 27). Wie weit der Wucher verbreitet war, darüber sind wir nur auf Ver­mutungen angewiesen; schriftliche Aufzeichnungen darüber gibt es kaum, am meisten können wir noch aus den sonst eher etwas problematischen Quellenwert besitzenden Zeugnissen der Kunst und Literatur entnehmen. Besonders die häufigste Folge solcher Wuchergeschäfte, die Pfändung, war ja ein beliebtes Motiv der Biedermeiermalerei und wurde, wie es scheint, als gar nicht so ungewöhnliches empfunden. Sehr plastisch sind übrigens die Verhältnisse bei Fr. Brauner: Böhmische Bauernzustände28), geschil­dert. Zur Zeit Josefs II., als man sich im innerstaatlichen Bereich mehr liberalen Tendenzen zuneigte, wurden durch das Patent vom 29. 1. 1787 alle früheren Wuchergesetze aufgehoben, um „dem durch gesetzmäßige Bestimmungen der Zinsen gehemmten Privatcredit Erleichterungen zu verschaffen und durch Befreiung vom Fiscalzwang den Zusammenfluß der Darleiher zu vermehren“; nun konnte man 4% Zinsen bei Darlehen be­kommen, die eine ausgewiesene Hypothek haben, 5%, wenn keine hypo­thekarische Sicherstellung erfolgte und schließlich 6% bei den „Mercantil- wechseln, die bloß zwischen Kaufleuten, Kommercialisten und Fabricanten ausgestellt werden“. Wesentlich war, daß zwar höhere Zinsen nicht mehr als Wucher angesehen wurden, aber grundsätzlich nicht gerichtlich einge­trieben werden konnten. Mit dieser gesetzlichen Sanktionierung war erst die Möglichkeit eines normalen Kreditverkehrs gegeben, andererseits konnte der Mißbrauch von reinen Wucherzinsen strafrechtlich nicht verfolgt werden. Vielleicht wurde aus diesem zuletzt genannten Grund auch allgemein das Zinsnehmen, aber auch das Kapitalgeschäft überhaupt als etwas angesehen, das mit dem anrüchigen Begriff des „Wuchers“ behaftet war; wie schon ausgeführt, hat es kaum einen einheimischen Nichtjuden gegeben, der sich mit dem * 2 27) Ludwig Vidéky: Das Geld- und Kreditwesen Österreichs und die Indu­strie, in „Österreichs Großindustrie“, Wien 1898, Bd. VI, S. 165. 2S) Dieses Buch erschien 1847 in Prag und Albert Schäffle zitierte es ge­legentlich in seinem Werk (siehe Anm. 1). 22*

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