Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

PILLICH, Walter: Kunstregesten aus den Hofparteienprotokollen des Obersthofmeisteramtes von 1638–1780

522 Literaturberichte meistert. Er versucht dies auf breiterer Basis als seine Vorgänger und bemüht sich, jene Seiten des Problems ins Auge zu fassen, die bisher ver­nachlässigt worden waren und dadurch eine neue Sicht der Dinge zu er­halten. Sauser kann auf Grund von Aktenmaterial zunächst die Gründe für die Inklinantenbewegung im Zillertal klarer beleuchten. Es treten sehr deutlich die Zusammenhänge mit dem hier nie ganz verschwundenen Krypto- protestantismus zu Tage, und es waren gerade die Inklinanten selbst die­jenigen, die auf jene Tradition hinwiesen, um das Toleranzpatent für sich anwendbar erscheinen zu lassen. An Hand von protokollarischen Aussagen ließ sich der Einfluß des deutschen Protestantismus auf die zahlreichen Zillertaler Handelsleute aufzeigen, welche alljährlich zu deutschen Märkten zogen. Der Bücherschmuggel von Bayern nach Tirol, wobei Tegernsee der wichtigste Übernahmsplatz gewesen zu sein scheint, hatte eine wesentliche Bedeutung. Interessant ist auch der Einfluß „auswärtiger Protestanten“, die als Gelehrte, Maler, Mineralogen oder Botaniker das Zillertal durch­wanderten und hiebei religiöse Konventikel gründeten. Es wird sicherlich mit Recht darauf hingewiesen, daß der etwas leichte, freiheitsliebende Charakter des Zillertalers, der sich nicht gern Bindungen unterwirft, an sich ein geeigneter Boden für Sektenbildungen war. Die katholische Geist­lichkeit steht in gutem Lichte da, mit der einzigen Ausnahme des Dekans von Zell. Auch die Inklinanten selbst klagten nicht über Übelstände bei der Geistlichkeit des Tales und eine große Bemühung um die Rückgewinnung der Abgefallenen, besonders durch junge Priester, wird hervorgehoben. In einer kurzen Übersicht ist dann der Verlauf der Inklinantenbewegung von den ersten Anfängen bis zur Auswanderung, 1826—1837, skizziert. Hier und in einem späteren Kapitel über den Klerus und die weltlichen Behörden in ihrem Verhalten zu den Inklinanten wird entgegen bisherigen Vorwürfen grausamer Intoleranz klargelegt, welche Gründe für die Aus­weisung tatsächlich maßgebend waren, aber auch mit welchem Streben nach Gerechtigkeit und Milde hiebei vorgegangen wurde. Hiedurch unter­scheidet sich diese Landesverweisung — es war keine Verweisung aus der Monarchie, sondern nur aus dem katholischen Lande Tirol — von modernen Umsiedlungen und Austreibungen. Nur zum Teil waren die Stellungnahmen der verschiedenen Landesstellen, der beteiligten bischöflichen Ordinariate und schließlich der Hofkanzlei und des Staatsrates, die zu den kaiser­lichen Entschließungen von 1834 und 1837 führten, bisher bekannt. Neues konnte vor allem in dem Kapitel über „Glaube, Charakter und Lebensweise“ der Inklinanten gebracht werden. Es wird die Frage behan­delt, ob die Anschuldigungen wegen verderblicher Sitten und Störung des Friedens und der Religionsausübung, die von der katholischen Bevölkerung ei’hoben worden waren, zurecht bestanden und ob es sich um die Zugehörig­keit zu einem protestantischen Bekenntnis handelte oder um eine Sekte. Aus verschiedenartigen Berichten und Eingaben geht eine große religiöse Verwirrung hervor. Die gegensätzlichsten Glaubenslehren wurden hier vertreten, gemeinsam war nur der Zug zur Freiheit von der Bindung an die katholische Kirche. Diese Wirrnis der Ansichten fiel auch protestanti­schen Besuchern des Zillertales auf. Der Autor folgert daraus, daß man

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