Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Seipel und die Konkordatsfrage. Ein Memorandum zur Note des Kardinalsstaatssekretärs Pacelli vom 17. März 1931

Seipel und die Konkordatsfrage 439 mann von Vorarlberg Dr. Ender gebildete neue Regierung trat Seipel aber nicht mehr ein, doch hat er diese gerade in der Konkordatsfrage mit Rat und Tat maßgeblich unterstützt. Er erklärte auf eine diesbezügliche An­frage des Bundeskanzlers Anfang Februar 1931, daß er „die Zeit für ge­geben“ halte, „wobei im vorhinein die Reform der Ehegesetzgebung als Kernpunkt betrachtet werden müsse“. Wenn es aber zu Konkordatsver­handlungen komme, müsse sie Ender ganz persönlich in die Hand nehmen, da man sie „keinem Ressortminister, weder Unterricht noch Justiz noch Äußeres“ 14 15), überlassen könne13). Zu dieser Zeit hatte aber auch schon der großdeutsche Parteiobmann und Justizminister Dr. Schürff sowohl im Finanzausschuß des Parla­ments 16) als auch auf dem großdeutschen Bezirksparteitag in Wien- Wieden17) die Notwendigkeit einer Eherechtsreform ausführlich erörtert, wobei er die Verdienste des nunmehrigen Vizekanzlers und Führers des von den Großdeutschen und dem Landbund gebildeten „Schoberblocks“ Dr. Schober besonders betonte18). Da die stärkste bürgerliche Partei auf keine andere Weise für eine Eherechtsreform zu gewinnen sei, bleibe als Ausweg nur mehr der Abschluß eines Konkordates19). Nachdem sich im Finanzausschuß dann auch die Christlichsozialen sowie Ver­treter des Landbundes für ein Konkordat ausgesprochen hatten und der Sozialdemokrat Dr. Eisler sich zumindest nicht strikt ablehnend äußerte20), schlug Bundeskanzler Ender im Ministerrat vom 20. Februar 1931 vor21), in dieser Angelegenheit mit Rom Kontakt aufzunehmen. Er wurde dabei von Schober und Schürff unterstützt, sodaß der Minister­rat Ender zu einer Anfrage beim Vatikan nach dessen grundsätzlicher Stellungnahme in der Konkordatsfrage ermächtigte. Daraufhin erhielt der österreichische Gesandte beim Heiligen Stuhl, Dr. Rudolf Kohlruß, den Auftrag, in diesem Sinn bei Kardinalstaatssekretär Pacelli vorzuspre­chen22). Die Regierung war sich jedoch bei diesem Schritt auch auf Grund des Abstimmungsergebnisses über die Eherechtsreform am 13. Februar 1931 22a) im Nationalrat darüber im Klaren, „daß der Kirche bezüglich der katholisch geschlossenen Ehen weitgehende Rechte eingeräumt werden u) Die genannten Ministerien befanden sich zu dieser Zeit in den Händen des christlichsozialen Politikers Dr. Emmerich Czermak und des großdeutschen Parteiobmannes Dr. Schürff. Die äußeren Angelegenheiten leitete Vizekanzler Dr. Schober. 15) Huebmer, a. a. 0., S. 134. ie) 29. I. 1931. 17) 4. II. 1931. 18) Schober habe sich bemüht, die notwendige politische Grundlage zu schaf­fen, um das vom Justizministerium bereits vorbereitete Gesetzeswerk zu ver­wirklichen. Reichspost 30. I. 1931. 19) Reichspost 5. II. 1931. 20) Reichspost 30. I. 1931. 21) Huebmer, a. a. 0„ S. 135, gibt den 22. Februar als Datum der entschei­denden Ministerratssitzung an, doch fiel dieser 1931 auf einen Sonntag. 22) Ebendort und Reichspost vom 1. III. 1930. 22a) Der großdeutsche Antrag auf Angleichung des österreichischen Ehe­rechtes an das reichsdeutsche war mit 80 gegen 79 Stimmen angenommen worden.

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