Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

CORETH, Anna: Das Schicksal des k. k. Kabinettsarchivs seit 1945

Rezensionen 595 Die mit dem Inhalt des Privilegs im Zusammenhang stehende „Tres- Comitatus-Frage“ wird in ihrer Problematik dargelegt, ohne endgültig für eine der Ansichten Stellung zu nehmen. Dagegen kommt der Autor in der sehr wichtigen Frage der Doppelbelehnung Heinrichs und Theodoras, die um ihrer Ungewöhnlichkeit in jener Zeit auffällt, um einen wesent­lichen Schritt über Heilig hinaus. Hatte dieser vermutet, Theodora hätte als Morgengabe schon einen Teil Österreichs erhalten, oder mit ihrem Gatten gemeinsam die ganze Markgrafschaft schon zuvor innegehabt, so weist nun F. auf eine äußerst naheliegende Parallele hin: auf die Doppel­belehnung des Welfen Heinrich des Stolzen und seiner Gemahlin Gertrud mit den „mathildischen Gütern“ in Italien im Jahre 1137. Die beiden Belehnungen liegen zeitlich nur 19 Jahre auseinander, zudem ist Gertrud später die erste Gemahlin Friedrich Barbarossas selbst geworden. Aber auch für den problematischen Ausdruck „libertás affectandi cuicumque voluerint“, der ebenso wie die Forderung nach weiblicher Erbfolge aus der Sorge wegen eines Todesfalles ohne männliche Erben hervorgegangen ist, bietet F. eine Lösung, die viel naheliegender ist, als die Heiligs. Heilig hatte mit großer Akribie dem Ausdruck „affectare“ in allen romanischen Sprachen nachgeforscht, um einen passenden Sinn zu finden, und hatte schließlich das griechische Wort diatithesthai — ein Testament machen — aufgespürt, das sich in das lateinische affectare übersetzen ließe. F. jedoch sucht im deutschen Sprachbereich und findet hier das mittelhochdeutsche Wort „muoten“, eine Lehensübertragung begehren. Dieser Ausdruck kann ohne gewaltsame Zurechtbiegung mit affectare übersetzt werden. Damit ist aber unter libertás affectandi nicht die von Heilig angenomme Testierfreiheit, wohl aber „ein weiterer Schritt auf dem Wege zu ihr“ zu verstehen, das Recht nämlich der Vorwahl eines Lehensempfängers,welches das Herzogpaar noch auf dem Totenbette hatte CS. 43 f.). Wichtig sind schließlich die neuen Erkenntnisse über die „Gerichts­paragraphen“. Eine Anregung von Heilig weiter verfolgend, die bisher unbeachtet geblieben war, stellt F. fest, daß „iusticia“ doch gar nicht Gericht, sondern Gerechtigkeit heiße, daß es sich also nicht nur um die Hochgerichtsbarkeit, die darunter verstanden wurde, sondern um das gesamte Recht, vor allem um die häufig mit „iusticia“ bezeichneten Ab­gaben und Leistungen handle. Es wäre dann eben ein Konsensrecht ge­meint, das der neue Herzog über jede Art von Gerechtigkeit in seinem Bereich besitzen sollte, welche These durch das Beispiel des Kirchengut­streites mit Otto von Freising erhärtet wird (S. 45 ff.). So erfüllt diese kleine Schrift vollends die Absicht, einen historisch und wissenschaftlich interessierten Kreis von Laien anzusprechen und ihm ein Bild von der außerordentlichen Stellung Österreichs schon im 12. Jahr­hundert zu vermitteln und gleichzeitig die Forschung in wesentlichen Punkten voranzutragen. Der enge Rahmen hat hiebei den Verfasser zu entsagungsvollen Verzichten auf ausführlichere Darlegung genötigt. Anna Coreth (Wien). 38*

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