Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

CORETH, Anna: Das Schicksal des k. k. Kabinettsarchivs seit 1945

592 Literaturberichte Untersuchung des Standesherrentunis vor uns ein Bild — eine „Typo­logie“, wie der Autor es nennt — größter Vielfalt. Unter den Mediati- sierten gab es „Whigs“ als auch Konservative; es gab solche, die sich in die „innere Emigration“ ihrer Residenzen zurückzogen und wieder solche, die sich mit dem Hofleben der übriggebliebenen regierenden Häuser abfanden. Wenn auch das „bene natus, bene vestitus, moderate doctus“ den Instinkten des Edelmannes entsprach, so gab es doch etliche, die sich im öffentlichen Leben, in der Armee, im Staate oder sonst wo hervortaten (siehe die Übersicht auf Seiten 10, 11). Ein besonderes Wort sei an dieser Stelle noch dem österreichischen Adel gewidmet. Auch im Vergleiche mit dem Adel anderer Länder ist er eine beliebte Zielscheibe der Kritik geworden. Als ob Graf Bobby, den es natür­lich gegeben hat, der „Idealtypus“ der österreichischen Hocharistokraten wäre! Unlängst hat der oben erwähnte Nikolaus von Preradovich einen Vergleich zwischen dem preußischen und dem österreichischen Adel unternommen, in dem der letztere recht schlecht abschneidet. Man würde offene Türen einstoßen, wollte man beweisen, daß der preußische Adel einen vergleichsmäßig größeren Anteil im Staate und in der Armee gehabt hat. Man trägt aber wenig zum Verständnis des österreichischen Adels bei, wenn man, wie Preradovich es tut, in Ignorierung der Eigen­art des Vielvölkerreiches, zur österreichischen Aristokratie nur diejeni­gen Familien zählt, die „aus den heutigen österreichischen Bundes­ländern zuzüglich der Untersteiermark, Krain und Südtirol stammen“. („Eine österreichische Uniform macht aus einem Schotten oder Spanier noch keinen Österreicher; ein Metternich blieb allemal Rheinländer, obwohl er jahrzehntelang die Politik des Kaiserstaates leitete.“ „Die Mitglieder des sogenannten Erzhauses werden als das eingestuft, was sie tatsächlich sind, nämlich Sprossen des südwestdeutschen Dynasten­geschlechtes der Lothringer“.) Im Gegensatz dazu steht Gollwitzers Merkmal der Zugehörigkeit zum österreichischen Adel, „die in Öster­reich seit alters oder erst seit neuerer Zeit ,domizilierten“ Linien“. Und statt der Statistik, mit der Preradovich arbeitet, findet man bei Goll- witzer großzügiges „Verstehen“, „Begreifen“ der Welt des Adels. In diesem Sinne stellt das Werk Gollwitzers eine gesunde Korrektur des Preradovich-Buches dar, und es weist, bei aller Kritik des österreichi­schen Adels, auf eine „Bilanz, die sich sehen lassen kann“ (siehe Sei­ten 334—335). Einige wenige Fragen bleiben dem Leser unbeantwortet. Es wäre interessant gewesen, mehr über das Verhältnis zwischen den verschie­denen Gruppen unter den Standesherren zu erfahren, so zwischen dem norddeutschen und süddeutschen, dem protestantischen und katholischen Hochadel. Im Anhänge an dieses vorzügliche Werk finden wir einige höchst interessante Dokumente abgedruckt, so den Text des Artikels XIV der Bundesakte, das „Promemoria“ zur Gründung des Vereines der deut­schen Standesherren (1863) und eine Urkunde jenes seltsamen und

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