Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

Dritter Österreichischer Archivtag am 22. September 1956 in Klagenfurt

412 Archivberichte kann. Da viele Vorgänge im lokalen Bereich verbleiben und nicht an die Zentral­stellen weitergegeben werden, besteht immer Gefahr von Verlusten. Noch schwieriger steht die Angelegenheit mit den Archiven der politischen Parteien. Die Taktik des politischen Tageskampfes fordert vielfach Geheimhal­tung, sodaß auch eine streng wissenschaftliche Benützung meist unmöglich ist. Trotzdem muß auf lange Sicht daraufhin vorgearbeitet werden, daß mit Rück­sicht auf den besonderen Erkenntniswert dieser Akten sachgemäße Aufbewah­rung und schonende Skartierung seitens der Verwalter vorgesehen wird. Weiters wäre anzustreben, daß wenigstens die älteren Bestände — soweit überhaupt noch vorhanden — wenn schon nicht den Landesarchiven übergeben, so doch wenig­stens der Forschung zugänglich gemacht werden. Auch hier gibt es erfahrungs­gemäß zahlreiche Akten, die den lokalen Bereich, die „Landesebene“ nicht ver­lassen, sodaß manches in den Zentralarchiven der Parteien überhaupt nicht aktenkundig wird. In dem Bemühen, über die Katastrophenzeit zwischen dem Herbst 1944 und dem Herbst 1945, da alle amtlichen Quellen und die meisten der gewöhnlichen privaten Quellen, etwa Tagebücher und Briefe, ausfallen, authentisches Quellen­material zu erhalten, hat sich das Steiermärkische Landesarchiv mehrfach an die Bevölkerung gewandt und um Erlebnisberichte und Erfahrungsaufzeichnun­gen ersucht. Obwohl etliche wertvolle und sehr aufschlußreiche Berichte ein­gegangen sind, darf das Gesamtergebnis doch als enttäuschend bezeichnet wer­den. Auch die erbetenen nachträglichen Aufschreibungen wurden trotz zuge­sicherter Vinkulierungen nur spärlich und in zu vorsichtiger Formulierung ein- gesandt. Um aber mündliche Aussagen, die viel lieber gegeben werden, aufzu­zeichnen, wäre ein eigener Personenstab erforderlich. Es ist also nicht viel Aus­sicht auf diesem Gebiet, obwohl gerade hier die Bearbeitung dringlich erscheint, da immer mehr Leute ausfallen, die alles mit Anteilnahme miterlebt haben, sich anderseits auch immer mehr Gedächtnislücken und -fehler einschleichen. Recht gut hat sich hier und auch auf den anderen Gebieten die Einrichtung der Archi­valienpfleger in Steiermark bewährt, da durch sie viel Material eingebracht wurde, das sonst sicherlich verloren gegangen wäre. Es ist also nicht leicht, ein gegenwartsgeschichtliches Archiv aufzubauen und zu führen. Diese Aufgabe würde zeitweise einen eigenen Archivar verlangen, der wie ein Reporter ständig hinter derlei Quellen nachjagen müßte. Alles andere bleibt Stückwerk. Gerade Vollständigkeit aber muß angestrebt werden; denn die einzelne Quelle — eine noch so interessante Flugschrift, ein noch so bemerkens- •wertes Plakat usw. — ist für sich allein nichts; erst die Summe vieler derartiger Quellen gibt die richtigen Aufschlüsse. Durchsicht der Bestände von Zeit zu Zeit gestattet eine rigorose Beurteilung des Wertes des Materials und schützt vor übergroßer Materialanhäufung. Über Einzelfragen der Organisation, Aufbewahrung, Ordnung wäre noch manches vorzubringen, doch sollte zunächst einmal das Grundsätzliche zur Spra­che kommen. Auch wurde der Standpunkt eines Landesarchives mit Absicht in den Vordergrund gestellt, da sich hier die Probleme besonders deutlich erkennen lassen. Der Geschichtsforscher beklagt nur zu oft den Mangel an allseitig erschöpfen­der Information durch die Quellen. Der Archivar hinwiederum fühlt in sich den Auftrag, geschichtliche Quellen zu sammeln und der Forschung zugänglich zu machen. Im Schnittpunkt beider Interessen scheint mir die Verpflichtung für ein wissenschaftliches Archiv zu liegen, das Quellenmaterial, das uns die Gegen­wart erbringt, möglichst vollständig und vielseitig der Zukunft zu überliefern. 9. Das amerikanische Archivwesen. Referent: Wirkl. Hofrat Dr. Gebhard Rath (Wien). Die Studienreise, die mich im Herbst 1955 auf Grund eines großzügigen Sti­pendiums des State Department im Laufe eines Vierteljahres durch viele Staaten der USA führte, ermöglichte mir einen wertvollen Einblick in die Vielschichtig­keit des amerikanischen Archivwesens. Es liegt in den historischen Gegeben­heiten, daß dieses Land Archive mit verhältnismäßig jungem Quellenmaterial

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