Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

WANDRUSZKA, Adam: Aus Ignaz Seipels letzten Lebensjahren. Unveröffentlichte Briefe aus den Jahren 1931 und 1932

568 Adam Wandruszka Wien, 6./6. 31 Verehrtester Herr Doktor! Für Ihren Bericht über Ihre Eindrücke u. Beobachtungen in Budapest sage ich Ihnen den herzlichsten Dank. Sachlich möchte ich zu dem Bericht Folgendes bemerken: Natürlich wäre die Ausnützung der außenpolitischen Situation für irgendeine die Zollunion mit dem Deutschen Reich u. den Anschluß aus­schließende Donauföderation oder dgl. von uns aus so schlecht, als sie von- seiten der anderen natürlich ist. Gerade jetzt müssen wir festbleiben, müssen wir zur Politik des Reifenlassens, des Sieges der ökonomischen Vernunft zurückkehren. Das Spiel ist in Genf nicht gut, weil nicht stark gespielt worden, aber nicht vom Österreicher allein. Auch Curtius war nicht herrisch. Hantos ist ein gescheiter u. energischer Mann voll guten Willens. Leider gilt er aber in Ungarn selbst gar nichts, sosehr er sich der persön­lichen Achtung erfreut. Nun ist es ganz gewiß, daß die geeigneten Männer für eine Annäherung der Nationen nicht jene sind, die im eigenen Volk für schwach und weich gelten, geradeso wie eine Koalition von Parteien in der inneren Politik nur erträglich ist, wenn allseits die stärksten Kämp­fer, nicht die Versöhnungsmaier sich zusammenfinden. Ich weiche daher im Verkehr mit den Ungarn Hantos ein bißchen aus u. halte mich möglichst an Bethlen. Mit vielen schönen Grüßen Ihr sehr ergebener Seipel Wien, 9./6. 31 Sehr verehrter Herr Doktor! Auch für Ihren neuesten Bericht sage ich Ihnen den besten Dank. Jedes solches Stimmungsbild vervollständigt das politische und wirtschaftliche Weltbild. Mit vielen schönen Grüßen Ihr ganz ergebener Seipel Wien, 21./6. 31 Sehr geehrter Herr Doktor! Vielen Dank für die Mitteilungen! Gratuliere zu dem Erfolg im deutsch­nationalen Lager! Sie dürfen kein einsamer „Pazifist“ werden. Mit vielen schönen Grüßen Ihr sehr ergebener Seipel

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