Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Zeitgenössische Polizei- und Diplomatenberichte über das Konkordat von 1855

278 Erika Weinzierl-Fischer von den höher gestellten Volksklassen gehegt werden“, würden sie durch die Presse der Polemik der breiten Masse übergeben, die dem geistlichen Einfluß zum großen Teil entrückt sei. Die nächste Wirkung wäre dann die Bildung einer großen Anti-Konkordatspartei6). Daß es den Anhängern des Konkordates außerdem nicht leicht fallen werde, die Befürchtungen der Gegner in der Tagespresse zu widerlegen, sprach Kempen im selben Zusammenhang aus 7). Vor allem aber vertrat er die Meinung, daß es nach der monarchischen Verfassung keinem Untertan zustehe, gegen Regierungs­handlungen zu polemisieren. Die Entgegnung Thuns vom 31. März 1856 auf die Note Kempens vom 25. März über die angeblichen Übergriffe der katholischen Blätter „La Sferza“ (Brescia) und „Österreichischer Volksfreund“ (Wien), die diese Auseinandersetzung zwischen den beiden Ministern ausgelöst hatten, ist wesentlich demokratischer als die Stellungnahme Kempens. Das Konkordat sei so sehr „in der Wahrheit und in dem moralischen und politischen Bedürfnissen Österreichs gegründet“, daß man vollkommen überzeugt sein könne, es werde dies mit der Zeit allgemein anerkannt werden. Ebenso gewiß sei aber, daß es derzeit „von einem sehr großen Theile des Publi­kums mit Mißfallen und Besorgnissen aufgenommen wird. Man kann ver­hindern, dass die Ansichten und Gefühle in der einheimischen Presse offen ausgesprochen werden. Darum werden sie aber in der Bevölkerung nicht weniger fortwuchern, denn sie sind an öffentlichen Orten wie in häuslichen Kreisen täglich der Gegenstand lebhafter Unterredung. In einer gewissen Beziehung werden sie vielmehr durch die Niederhaltung der Presse noch neue Nahrung finden. Das wirksamste Argument gegen das Concordat ist nämlich die Äußerung der Besorgniß, daß das Concordat in Österreich eine Periode des geistigen Druckes und der Finsternis zur Folge haben werde, und man wird nicht ermangeln, eine thatsächliche Bestätigung dieser düsteren Weissagung darin zu erblicken, wenn es den Zeitungen nicht gestattet wird, über diese Angelegenheit sich auszusprechen“ 8 9). Kempen beantwortete diese Note Thuns am 22. April so scharf, daß dieser darauf nur mehr entgegnete, der Unterschied zwischen seiner und Kempens Auffassung sei so groß, daß er es „für unbescheiden halten müßte, in weitere Erörterungen hierüber einzugehen“ »). Daraufhin wandte sich Kempen an den Generaladjutanten des Kaisers, Graf Grünne10), der schon seinerzeit die besonders antikaiserliche und konkordatsfeindliche Stellungnahme der „Times“11) Franz Joseph in die Hände gespielt hatte12). 6) Ob.Pol.Beh., H. 21/1856, AVW. 0 1856 IV 19, Gen.Dep., HHStA. 8) Kop., Ob.Pol.Beh., H. 21/1856, AVW. 9) Kop., ebendort. 16) 1856 IV 29, Orig., ebendort, P I, ZI. 1234/1856. u) Artikelserie vom 15., 17., 20. und 21. November 1856. 12) Mayr, a. a. O., S. 380.

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