Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)
MARX, Julius: Die amtlichen Verbotslisten. Zur Geschichte der vormärzlichen Zensur in Österreich
Die amtlichen Verbotslisten 185 halb wir froh sein müssen, daß wenigstens der Faszikel 80 so viel bietet. Wenn wir aber die Zahl der im deutschen Sprachraum verlegten Werke dazu vergleichen, so müssen wir den Prozentsatz der verbotenen Schriften mit ungefähr fünf Prozent ansetzen *7). Bestand nun also Geistesdruck oder n i c h t ? Ja und nein. Gebildeten war jedes Werk zugänglich. Zu dieser Schichte zählte nun das gesamte geistig schaffende, kulturtragende Österreich. Gerade aus diesen Reihen aber, denen ohnehin nichts verschlossen war, die also höchstens über Behelligung klagen konnten, kamen die Angriffe gegen die Zensur. Man muß in ihnen eine Auflehnung gegen die Bevormundung sehen, die in dieser Frühzeit des Liberalismus bitterer empfunden wurde, zumal der liberale Mensch in letzter Konsequenz seines Vernunftglaubens zur Wissenschaft und Geistestätigkeit eine besondere Einstellung hatte. Bei den bildungsmäßig höher stehenden Völkerstämmen Österreichs ist darum die Gegnerschaft heftiger, beispielsweise bei Deutschen und Italienern. Die genannte Schichte war aber im ganzen doch recht schmal, die vom Schedenbezug, für den die soziale Stellung maßgebend war, Ausgeschlossenen, demnach der bildungshungrige Teil sozial niedriger stehenden Bevölkerungskreise, etwa Beamte, Lehrer, Handelsangestellte, waren einzig auf den Schmuggel angewiesen. Hier muß der Geistesdruck bejaht werden. Und wenn wir immer hören, daß Österreich der aufnahmsfähigste Markt für eingeschwärzte Bücher war, so dürfen wir diese Schichten zahlenmäßig nicht unterschätzen98). Daß der Wegfall der Zensur zu keinem geistigen Aufschwünge führte, daß gerade die Preßfreiheit des Jahres 1848 so mißbraucht wurde, hat den Anhängern des alten Systems eine billige Waffe in die Hand gegeben. Wir sehen jedoch heute, daß trotz der völligen Preßfreiheit führende Köpfe abwandem. Die Ursache liegt demnach nicht im jeweiligen Regierungssysteme, sondern anderswo, was noch zu untersuchen wäre. * S. 9U Georg Schneider, Handbuch der Bibliographie, 4. Aufl. Leipzig 1930; S. 168, gibt allein für die drei Jahre 1840, 1843, 1847 zusammen über 35.000 erschienene Werke an. — In den sechs Jahren 1896 bis 1901 wurden 13.584 Verbote durch die österr. Gerichte ausgesprochen, wovon etwa 681 auf Schriften entfallen, die für den Buchhandel wichtig waren: A. E i n s 1 e, Catalogus Librorum in Austria Prohibitorum; Wien 1896, dazu Supplementum I. v. C. Junker, Wien 1902; hier S. IV., 1—40. — »8) Am 21. Juni 1955 jährte sich zum hundertsten Male der Todestag des Grafen Joseph Sedlnitzky. Er war von 1815 an als Vizepräsident, von 1817 an als Präsident der Polizei- und Zensurhostelle derjenige, der für das österreichische Zensurwesen die Verantwortung trug. Persönlich trat er dermaßen in den Hintergrund, daß sein Wirken so schwer faßbar wurde, daß er trotz zahlloser einzelner Notizen bis heute keinen Biographen fand.