Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)

GOLDINGER, Walter: Archivwissenschaftliche Literatur der Jahre 1951–1954

Archivwissenschaftliche Literatur 367 Darum ist es so dankenswert, daß gerade jetzt ein Handbuch der Archivkunde erschienen ist, das W. L e e s c h nach dem Tode von Adolf Brenneke, der für eine Generation preußischer Archivare ihr hoch­verehrter Lehrmeister gewesen ist, mit Benutzung nachgelassener Auf­zeichnungen und Mitschriften von Vorlesungen herausgegeben hat. Das Buch hat bei den ehemaligen Schülern ebensoviel Begeisterung hervor­gerufen, wie es in ausländischen Fachkreisen auf Widerspruch stieß 13°). Ohne Zweifel handelt es sich um einen gelungenen Wurf. Die Lektüre setzt allerdings eingehende Fachkenntnisse, zumindest in dem der Ar­chivlehre gewidmeten ersten Abschnitt voraus. Anfänger werden sich da schwer zurechtfinden. Daß das Gebäude von Struktur und Tektonik der Archive und Archivalien, das Brenneke aufführt, von tiefen ge­schichtsphilosophischen Einsichten getragen wird, ist an sich kein Nach­teil. Auch in der naturwissenschaftlich orientierten Medizin kommen der Wandel der geistigen Strömungen und die ständigen Veränderungen des Weltbilds immer wieder zur Geltung. So verdient der Versuch, fünf­zig Jahre nach Löher den Sinn der Geschichte des abendländischen Ar­chivwesens aus der Erkenntnis seines inneren Wesens, mithin durch eine historisch ausgerichtete Fragestellung und Methode zu erfassen, volle Anerkennung. Im einzelnen ergeben sich freilich viele Einwände und Vorbehalte. Auch ist der in der Praxis stehende Archivar recht beschei­den. Er weiß nur zu gut, wie so vieles, was als ein theoretisches Feuerwerk erscheinen mag, im Alltag der Archive oft auch empirisch gefunden wird 131). Hält man dazu, daß H. 0. M e i s n e r durch seine Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit dem anderen Zweig der Archivwissenschaft ein festes Fundament gegeben hat132), daß in Anlehnung an seine Systematik bereits eine Aktenkunde der Wirtschaft erschienen ist133), die nicht nur dem Archivar, sondern auch dem Historiker viel zu sagen hat; daß wei­ters die Frage Dokumentation und Archive, die nicht identisch ist mit dem alten, von Otto Wenig wiederaufgeworfenen Problem von „Biblio­130) Vgl. die Besprechungen von B. Schwineköper, Göttingische Gelehrte Anzeigen 208 (1954) 221—232; H. O. Meisner, Deutsche Literaturzeitung 75 (1954) 684—686. Dagegen aber A. Cosemans, Archives, bibliotheques et Musées de Belgique 25 (1954), 161—162. un) B. Schwineköper, Zur Geschichte des Provenienzprinzips. For­schungen aus mitteldeutschen Archiven (1953) 48—65. 132) Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit. 2. Aufl. 1952, 241 S., 8 Abb. Vgl. die auf Grund dieser Lehren verfaßte Arbeit von Ingeborg Mengel, Akten- kundliche Untersuchungen an der Korrespondenz zwischen Elisabeth von Braun- schweig-Lüneburg und Albrecht von Preußen. Ein Beitrag zur historischen Akten­kunde des 16. Jahrhunderts. Archivalische Zeitschrift 48 (1953) 121—158. 133) Erich Neuss, Aktenkunde der Wirtschaft. Teil I: Kapitalistische Wirt­schaft — Schriftenreihe der staatlichen Archivverwaltung 4 (1954), 366 S. Vgl. die Bespr. v. H. O. M e i s n e r, Archivmitteilungen 1954, 72—73; E. Neuss, Die Hollerith-Lochkarte. Ihre Entstehung, Aussage und archivalische Bedeutung. Ebd., 64—70.

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