Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)

WINTER, Otto Friedrich: Die „Obere Registratur“ des Reichshofrates 1938–1954

314 Archivberichte diesen Ermittlungen ausgehende Schätzung, daß nur mehr 200 Faszikel zustande gebracht werden könnten und darum mit einem Verlust von 9/10 des eingelagerten Bestandes zu rechnen sei, erwies sich bald als unzu­treffend23). Wenige Tage später brachte der öffentliche Verwalter des Gutes die Nachricht, daß die Hauptmasse auf einen durch ein vorsprin- des Dach geschützten Balkon gebracht worden sei, wo während des Som­mers keine größeren Schädigungen zu befürchten seien, und daß er außer­dem die im Park liegenden Akten und Bücher einsammeln lassen werde. Zwecks Durchführung von Sicherungs- und Rückbringungsmaßnahmen wandte sich die provisorische Archivleitung an die Vorgesetzte Stelle, die österreichische Staatskanzlei, die ihrerseits beim Kulturreferenten der Besatzungsmacht intervenierte24). Ein vornehmlich zur Rückbrin­gung von Büchern der Universitätsbibliothek bestimmter Lastwagen brachte am 15. August auch 200 Faszikel und eine Anzahl loser Akten der „Oberen Registratur“ aus Markhof nach Wien, wo sie in das X. Ge­schoß gelegt wurden25). In drei Transporten mit insgesamt sieben Last­wagen, die von der russischen Besatzungsmacht zur Verfügung gestellt wurden, gelangte am 8., 12. und 13. September 1945 die Rückführung der „Oberen Registratur“ aus Markhof zum Abschluß; es wurden nur wenige, gänzlich verdorbene Akten dort zurückgelassen26). Nach Aus­scheidung der mit den Akten vermischten Bücher der Universitätsbiblio­thek, die dieser zurückgestellt wurden, wurden die bestimmbaren Faszi­kel ziemlich ungenau und flüchtig in den Stellen des XI. Geschosses ein­gestellt und die losen Akten und nicht unmittelbar bestimmbaren Faszi­kel in drei großen Stößen auf geschlichtet; besonders stark durchnäßte Akten wurden auf den Wandbrettern zum Trocknen aufgelegt. Die Uni­23) Reg. d. HHStA., ZI. 320/1945. Die unüberlegte Unterbringung in Wohn- räumen — s. o. bei Anm. 15 — hat das ihrige dazu beigetragen, daß die Aus­räumung erfolgte. Ob diese von russischem oder noch von deutschem Militär vorgenommen wurde, läßt sich nicht feststellen. ZI. 320/1945 spricht von Russen, Hofrat Seidl, der am 8. September an Ort und Stelle Nachforschungen anstellte, muß die Frage unbeantwortet lassen (ZI. 404/1945). Ein Durchdenken der Situa­tion macht jedoch eine deutsche Urheberschaft wahrscheinlicher: Im März und April 1945 bestand infolge der Jahreszeit ein dringenderes Bedürfnis nach ge­schützten Quartieren als im Mai und Juni; im erstgenannten Zeitraum standen im Marchfeld noch die deutschen Verbände, außerdem verschärfte ein massierter Flüchtlingsstrom das Quartierproblem. Auch von privater Seite lief ein Bericht über die im Freien liegenden Akten und Bücher ein; dieser, am 3. Juli an die Nationalbibliothek gerichtet, wurde von dort nach Ermittlung der zuständigen Stelle am 9. August an die Direktion des Österreichischen Staatsarchivs weitergeleitet (Österr. StA., Gen.Dir., ZI. 925/ 1945). 24) Österr. StA., Gen.Dir., ZI. 806/1945 vom 20. Juli 1945. Im Falle Markhof komplizierte sich die Lage noch dadurch, daß es sich dabei um „arisierten“ Besitz handelte. 25) Reg. d. HHStA., ZI. 378/1945. 28) Reg. d. HHStA., ZI. 404 und 409/1945. Wann die Rückbringung der Archivalien aus Haizendorf und der 400 Faszikel aus dem Archivkeller in die Depoträume erfolgte, ist aus den Akten nicht ersichtlich.

Next

/
Oldalképek
Tartalom