Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 501 schenkte der Kaiser 100 Gulden. In Leitmeritz grassierten „Fäulungs- fieber“, in Komotau waren die Untertanen mit ihrer Herrschaft besonders unzufrieden, hatten aber trotz großer Not noch kein Gras „und andere derley Sauereyen“ genießen müssen. Die Untertanen des Grafen Wallis mußten fünf Tage in der Woche Zugrobot leisten, bei Nichteinhaltung wurden Strafen von 50—70 Stockstreichen in Gegenwart des Grafen er­teilt. Die Hildebrandschen Untertanen im Kreis Rakonitz wurden die ganze Woche zur Robot verhalten, die Strafen stiegen bis zu 100 Stock­streichen, denen denn auch ein Verurteilter erlegen war. In Sbirow ging Joseph selbst in die Scheunen und sah, daß fast die Hälfte der eingebrach- ten Ernte aus Unkraut bestand. „Darauf gieng ich nach Hauß und nahm mit mir von denjenigen Körndln, welche man sagt, daß sie die Leute, wenn sie selbe genießen, auf eine Zeit ganz dumm machen.“ Die Ein­wohner von „Mieß“ hatten sechs Tage kein Brot bekommen können und aßen daher unter anderen „Gras in Milch eingekocht“. Dafür zeigte der Kreishauptmann von Klattau dem Kaiser einen Originalbefehl des böhmi­schen Guberniums vom 16. August 1771, „durch welchen im ganzen Lande befohlen und würklich publiziert wurde, daß kein Bauer mit nüchternem Magen ausfahren solle, ohne vorhero eine Fleisch- oder wenigstens Brod Suppe gegessen zu haben, welches um so lächerlicher ist, als, ausser den heiligen Tägen, die meisten Bauern das ganze Jahr keine Fleisch-Suppe essen“. In Strakonitz und auf dem erzbischöflich Prager Gut „Przehan“ klagten die Untertanen besonders über ihre Obrigkeiten, die ohne Zögern immer wieder ganze Familien abstifteten. Die Zahl der Todesfälle in Woporschan bei Tabor war um mehr als 50 Prozent gestiegen160). Die Unterlagen zum Reise journal161 162) enthalten ebenfalls wichtige An­gaben über die Lage in Böhmen, die der Kaiser durch Befragung der Kreishauptleute erhalten hatte182). So waren z. B. die Getreidepreise durch­16°) Reisejournal Josephs, Hofreisen Karton 4, Haus-, Hof- und Staats­archiv (= Hofreisen). 161) Ebendort. 162) Der Kaiser hatte ihnen und dem Gubernium 15 Fragen gestellt, aus deren Beantwortung er sich ein Bild der Lage machen wollte: 1. Ursachen der Not? 2. Verhältnisse seit dem letzten Krieg? 3. Bevölkerung? 4. Jetzige Lage? 5. Bisherige Hilfsmaßnahmen? 6. Wucher? 7. Aktivität der Kreishauptleute? 8. Verläßlichkeit der Konsignationen? 9. Viehstand? 10. Gefällsverpachtung? 11. Kommerzverbesserung? 12. Stadtverwaltung? 13. Vereinfachung der Verwal­tung? 14. Jetzt vorzunehmende Hilfsmaßnahmen? 15. Maßnahmen auf weitere Sicht? Ebendort. — Diese Fragen hat später auch Graf Leopold Kollowrat, der mit den böhmischen Verhältnissen sehr vertraut war, beantwortet und dabei viele Aussagen der Kreishauptleute bestätigt, aber auch einige neue Anschauun­gen vertreten. So schlug er z. B. vor, daß jeder Bauer eine bestimmte Menge Tabak anbauen solle, da die Tabakeinfuhr zuviel Geld kostete, trat für die Errichtung von Landwirtschaftsschulen und einer aus einem Präsidenten und acht Landwirten bestehenden Wirtschaftskommission für Böhmen sowie für die Wiederbelebung des seit mehr als 100 Jahren verfallenen böhmischen Berg-

Next

/
Oldalképek
Tartalom