Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 481 Zunächst versuchte man jedoch, der Not durch Prohibitivmaßnahmen23) Herr zu werden. Schon am 20. September 1770 entschloß sich die Kaiserin, das für Böhmen bereits erlassene Getreideausfuhrverbot24) auf die ganze Monarchie auszudehnen 25) und den Transport aller überflüssigen Vorräte der ungarischen Kameralherrschaften nach Wien anzuordnen26). Im Oktober brachte dann das Ansuchen eines schlesischen Gutsbesitzers, für seine bedürftigen Untertanen von seinen in Preußisch-Schlesien gelegenen Gütern Getreide mautfrei einführen zu dürfen, die Resolution der Kaiserin, daß es für die Dauer der Not allen Untertanen erlaubt sei, „ohne Mauth, und ohne eines besonderen Paß, oder einer andern Vorsicht“ aus dem Ausland Getreide einzuführen27). Diese Erlaubnis wurde am 17. November in den Zeitungen publiziert und schon am nächsten Tage stellte Joseph den Hofkanzler Chotek28) zur Rede, warum nicht auch seine Bewilligung zum Protokoll des staatswirtschaftlichen Departements vom 11. Oktober veröffentlicht worden sei, nach der Getreide auch von einem Erbland in das andere mautfrei eingeführt werden durfte29). Die Stellungnahme des Kanzlers zu dieser Frage ist nicht erhalten, aber die kaiserliche Bewilligung wurde daraufhin sofort den ungarischen, siebenbürgischen und Banater Landesstellen mitgeteilt30). Aber auch für die strikte Einhaltung des Getreideausfuhrverbotes hatte der Kaiser in diesen Tagen zu kämpfen. Da in jenem Herbst nicht nur in den Erblanden, sondern in ganz Süddeutschland Getreidemangel herrschte, hatte der Kurfürst von Bayern dringendst um die Ausfuhrbewilligung für 8000 Metzen Getreide angesucht31). Dieses Ansuchen war von Staatskanzler 23) Vgl, dazu Adolf Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia und Josef II., Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen (AföG) 86, 1899, S. 3. 24) Siehe oben S. 479. 25) „Im übrigen ist die Körner Ausfuhr ad extra in den böhmischen sowohl den sammentlichen österreichischen Ländern von stund an gänzlich einzustellen. Wie dann auch das gleiche Ausfuhrverboth in den hungarischen Landen, um den Nachschub von dorther desto ergiebiger zu machen, eben unter einstens erlassen wird.“ 1770 IX 20, Billet an den Hofkanzler Graf Chotek. Aus StR.Prot. 1770/ III/3325. — Arneth, a. a. O., S. 43, scheint der genaue Zeitpunkt der Erlassung des Ausfuhrverbotes nicht bekannt gewesen zu sein. 26) 1770 IX 20, Billett an den ungarischen Hofkammerpräsidenten Grassal- kowicz, ebendort, n. 3326. 27) 1770 X 13, Vortrag der b.-ö. Ilofkanzlei, Kommission, Fasz. 1 Oktober, n. 1. 28) Rudolf Graf Chotek (1707—1771). Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 4, 1876, S. 138. 2») 1770 XI 18, Handbillett Josephs an Chotek, StR.Prot. 1770/IV/4076. 30) 1770 XI 20, Vortrag der Hofkanzlei, ebendort, n. 4167. 31) Arneth, a. a. O., S. 44. Mitteilungen, Band 7 31