Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.

Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 479 landen gemeldet wurden6), mußten daher das in seinem Wirtschaftsgefüge ohnedies sehr labile Land schwer erschüttern. Da nun in manchen Gegenden Böhmens, Bayerns und Sachsens die Getreideernte so schlecht ausgefallen war, daß nicht einmal das für das nächste Jahr benötigte Saatgut eingebracht werden konnte, und die Ge­treidepreise beträchtlich stiegen7), erließ das böhmische Gubernium schon im Frühherbst 1770 für ganz Böhmen ein Getreideausfuhrverbot. Der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei wurde darüber am 3. September 1770 Bericht erstattet und darauf hingewiesen, daß man den Ausbruch einer Hungersnot befürchte8). Zur Versorgung der besonders gefährdeten Stadt Prag beabsichtigte das böhmische Gubernium die Kreise Beraun und Kaurim heranzuziehen, die 10.000 bzw. 15.000 Metzen9) Getreide liefern sollten. Dabei sollten in jenen Dörfern, die über Vorräte verfügten, aber nichts abgeben wollten, die Scheunen visitiert und das über den Eigenbedarf des Besitzers hinaus vorhandene Getreide gegen Bezahlung des amtlich festgesetzten Preises abtransportiert werden 10 *). So energisch diese Maßnahmen des unter der Leitung des 80jährigen Obersten Burggrafen Philipp Graf Kollowratn) stehenden böhmischen Guberniums zunächst zu sein schienen, so zeigte es sich doch bald, daß sie zu spät getroffen worden waren, um von vornherein eine Teuerung wirklich verhindern zu können. Zu dieser Erkenntnis 12) gelangte in Wien als erster der Sohn des Burggrafen selbst, der Vizekanzler Leopold Graf Kollowrat13). Und schon zu diesem Zeitpunkt mußte sich der Kaiser und Mitregent per­sönlich in der ihm eigenen impulsiven Art für eine Besserung der Verhält­nisse in Böhmen einsetzen. Joseph, der sich damals zur Manöverbesichti­gung in Mähren auf hielt14), hatte nämlich von dort der Kaiserin einen 20y2 Lot15 * * *) -schweren Laib Brot, der in Prag um 3 Kreuzer verkauft worden war, als Beweis der Teuerung und des Mehlmangels in Böhmen über­6) 1770 VII 21, IX 19, Staatsrat-Protokoll 1770/III/2574 und 3336, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (= StR.Prot.). 7) 1770 IX 7, Getreidemangel- und Hungerbekämpfungshofkommission, Fasz. 1, Beilage ad n. 1, Hofkammerarchiv Wien (= Kommission). 8) 1770 IX 3, Bericht des böhm. Guberniums, ebendort, Beilage ad n. 2. 9) Zu dieser Zeit war in Österreich der niederösterreichische Landmetzen, der 61% 1 faßte, das gebräuchlichste Getreidemaß. Alfred Francis Pribram Ma­terialien zur Geschichte der Preise und Löhne in Österreich I, Wien 1938, S. 102. 19) 1770 VIII 25, Kommission, Fasz. 1, Beilage ad n. 1. 4>) Philipp Graf Kollowrat-Krakowsky (1688—1773). Vgl. Allgemeine Deut­sche Biographie 16, 1882, S. 486 f. 19) 1770 IX 13, Kommission, Fasz. 1, n. 3. •3) Leopold Johann Graf Kollowrat-Krakowsky (1727—1809). Vgl. Allge­meine Deutsche Biographie, 17, 1883, S. 455 ff. 14) Paul von Radies, Die Reisen Kaiser Joseph II. und ihre Bedeutung für Österreich-Ungarn, besonders vom volkswirtschaftlichen Standpunkt, Österrei­chisch-ungarische Revue N. F. 9, 1890, S. 5 ff. is) Nach dem Wiener Handelsgewicht betrug 1 Lot (V32 Pfund) 17,5 Gramm. Pribram, a. a. O., S. 125.

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