Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

BENNA, Anna Hedwig: Studien zum Kultusprotektorat Österreich-Ungarns in Albanien im Zeitalter des Imperialismus (1888–1918)

36 Anna Hedwig Benna Grundsätze in der Türkei, die verfassungsmäßige Verankerung der Reli­gionsfreiheit die Frage nach der Berechtigung und der Notwendigkeit des religiösen Schutzrechtes einer fremden Macht auf. Der Untergang der tür­kischen Herrschaft in Albanien und in den von Montenegro und Serbien annektierten Gebietsteilen Albaniens stellte den Weiterbestand des öster­reichisch-ungarischen Kultusprotektorats in Frage. Schon in den Verhand­lungen, welche das Komitee von Saloniki nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina mit dem österreichisch-ungarischen Generalkonsul Rappa- port führte, tauchte als türkische Forderung der Verzicht auf das Kultus­protektorat auf125). Den Vertretern Österreich-Ungarns erschien diese Forderung angesichts des Interesses des Heiligen Stuhls sowie der katholi­schen öffentlichen Meinung an der Erhaltung dieses alten Rechtes und im Hinblick auf die analogen Rechte Frankreichs unannehmbar126). In der Türkei setzte eine Pressekampagne ein. Das Organ des Komitees von Salo- nike, Schurai-umete 127)> erblickte in der Aktion des Kultusprotektorats eine in konfessionelles Gewand gekleidete Einmischung Österreich-Ungarns und in den Geistlichen Vorposten der Monarchie. Aehrenthal ließ Enver Bey versichern, es handle sich bei der Ausübung des Kultusprotektorates von Seiten Österreich-Ungarns um die Erfüllung von Pflichten, nicht um Rechte, die jedoch auf Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl beruhten, von denen die Schutzmacht nur entbunden werden könnte, wenn Rom in Zukunft zur Überzeugung gelangte, daß ein besonderer Schutz der Katho­liken in der verjüngten Türkei nicht mehr notwendig sei128). Die Frage der Behauptung des Kultusprotektorates wurde in Wien einer eingehenden Prüfung unterzogen. Der politische Wert dieses alten Rechtes für die Stellung der Monarchie in Albanien wurde nicht sehr hoch eingeschätzt129). Das Kultusprotektorat war von dem Zeitpunkt an, als Österreich-Ungarn seine heutige Politik in Albanien inaugurierte130), im Wege des Klerus für uns Sympathien zu gewinnen und durch Förderung der katholischen Interessen in Albanien, sukzessive jene Vorbedingungen zu schaffen, welche für eine eventuelle vorläufige Selbstverwaltung des Landes unerläßlich sind, zu einem politischen Instrument geworden. Trotz großer, materieller Opfer, die Österreich-Ungarn brachte, gelang es nicht, die Sympathien der Albanesen zu gewinnen. Ein formeller Verzicht auf das Schutzrecht von Seiten Österreich-Ungarns hätte nur für Italien einen Vorteil, da ihm ein Anlaß geboten würde, die von Österreich-Ungarn preis­125) PA XII, 271. Liasse Türkei XXXIV/8, Telegr. Rappaport, Saloniki, 1908 Oktober 30. 126) Ebenda. 120 Ebenda, in Übersetzung „Österreich und die Frage des Kultusprotekto­rates“, Beilage zu Bericht Pallavicini, 90 C, 1909 November 4. !28) Ebenda, Telegr. an Rappaport, 1908 November 6. 12°) Ebenda, Telegr. Pallavicini, Konstantinopel, 1908 November 9. i3o) Vgl. oben S. 15.

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