Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

202 Ferdinand Hauptmann Österreich wolle. Diesem Kampfe begegne Österreich überall, wo seine Rechte und Interessen in Frage seien, auch wenn sie mit den russischen nicht kollidierten; in Serbien, Rumänien, Bulgarien und neuerdings auch in der Donaufrage, selbst da, wo offizielle russische Zusagen die Hülfe Rußlands versprächen“ cl). Bismarck, der das Drei-Kaiser-Bündnis vom deutschen Standpunkte wünschen mußte, um nicht der französischen Revanchepolitik und dem cauchemar des coalitions ausgeliefert zu sein, verstand nicht ganz diese begründeten Bedenken Haymerles. Für ihn, der vielleicht allzusehr im Staatsgedanken verwurzelt war 62), stellten in der Politik die Großmächte die ausschlaggebenden Faktoren dar. Das gegenseitige Einvernehmen der Stärksten mußte imstande sein, alle auftauchenden Schwierigkeiten zu überwinden. Deshalb betrachtete er das orientalische Problem nur unter dem Gesichtspunkte der österreichisch-russischen Beziehungen. Vor dem Bestreben, die Eintracht dieser zwei Mächte zu erhalten, trat die Erfüllung der nationalen Wünsche der Balkanvölker in den Hintergrund, umsomehr als das Auftauchen kleiner Staaten ein Moment der Unruhe in das System der Großmächte hineinbringen mußte, da die Kleinstaaten innerlich wie äußerlich wenig befähigt waren, eine eigene Politik zu führen63). So konnte er den Gedanken einer Teilung der österreichischen und rus­sischen Interessensphären schon damals vertreten; schließlich war auch sein Streben in Friedrichsruh darauf gerichtet. Haymerles Mißtrauen gegen neue Vereinbarungen mit Rußland verstand er durchaus nicht und hielt ihn für einen nüchternen, furchtsamen Staatsmann, für ein „bodenscheues Pferd“ 64). Seiner Meinung zufolge mußte sich Österreich mit Rußland in Besprechungen einlassen, auch auf die Gefahr hin, bei dem Dualismus der russischen Politik eventuell „betrogen“ zu werden; denn „ohne Vertrag mit dem Kaiser (von Rußland) wird das noch leichter möglich sein“ 6S). Bei dieser Beurteilung der österreichischen Politik zog er jedoch die Schwierigkeiten nicht in Betracht, unter denen Haymerle zu arbeiten hatte. Denn sowohl für Taaffes Politik des „Fortwursteins“, die sich nach den mißglückten Verfassungsexperimenten seiner Vorgänger an eine groß­zügige, prinzipielle Behandlung der nationalen Frage nicht heranwagte, wie auch für die brutale Magyarisierungspolitik in Ungarn war eine konser­vative Außenpolitik unentbehrlich. Demgemäß zielte Haymerle auf die Her­stellung eines doppelten Gleichgewichts nicht nur zwischen den Balkan­völkern, sondern ebenso zwischen den Großmächten, „insofern wir die Vor­zugsstellung eines einzelnen Staates zu Gunsten seiner individuellen Inter­essen grundsätzlich ausgeschlossen zu sehen wünschen müssen“ 66). Der Beruhigung des Balkans war, wie Hübner im Nachrufe von Hay­merle sagte, sein Hauptaugenmerk zugewandt67), in richtiger Erkenntnis, daß dadurch auch der Innenpolitik am meisten gedient war. Deshalb lag hier auch die Annexion Bosniens und der Hercegovina nur „im Schoße der Zukunft“ 68); der Besitz beider Provinzen sollte aber dazu dienen,

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