Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 179 es denn auch den Anschein erweckt, als ob Ristic noch vor dem Zusammen­tritt der Skupstina demissionieren werde, nur um den Eisenbahnvertrag nicht durchbringen zu müssen221). Schließlich aber mußte er sich vor dem Zwang der Verhältnisse beugen. Allein, es war mehr als ungewiß, wie lange er ihn anerkennen werde. Es erhebt sich daher die Frage, warum Österreich nicht an dem Fall eines so gefährlichen Gegners'arbeitete. Prüft man die Akten unter diesem Gesichtspunkte, so erscheint die Persönlichkeit des serbischen Außenministers in einem eigenartigen Lichte. Serbien hatte nach den Kriegen ziemlich schwer unter finanziellen Schwierigkeiten zu leiden. Die Kriege allein schufen eine Staatsschuld von 30 Millionen Dinar 222), dazu kamen die vergrößerten Auslagen bei der Neuordnung der eroberten Gebiete, die Erhöhung der fürstlichen Zivilliste, Errichtung von diplomatischen Vertretungen im Auslande, so daß sich die Regierung genötigt sah, neue Einnahmen ausfindig zu machen. Da jedoch der Bauernstand am meisten gelitten hatte, aber auch der Beamten­stand im ersten serbisch-türkischen Kriege mit der halben Bezahlung ge­dient hatte, wollte man mit der neuen „Gewerbe- und Einkommensteuer“ (patentarina) hauptsächlich nur die Kaufmannschaft belasten. Die Steuer wurde von der Skupstina angenommen, aber mit der Abänderung, daß ihr auch die Beamten unterworfen werden sollten. Obwohl diese Steuer die Bauern schonte, entsprang ihr Abänderungsvorschlag der Tatsache, daß ein großer Prozentsatz unter ihnen auch ein wenig Handel trieb, ein Gast­haus besaß, sie also ebenfalls durch die Steuer betroffen wurden. Außerdem befürchteten sie, daß der Kaufmann als der alleinige Steuerträger sich für die Erhöhung der Steuer durch entsprechende Preise seiner Waren schadlos halten würde 223). Konnte man die Steuer schon nicht allein auf die Be­amten und Geistlichen abschieben 224), so sollten doch wenigstens jene mitzahlen. Die neue Steuer, unregelmäßig verteilt, willkürlich erhoben, brachte bald die Kaufmannschaft gegen die Regierung auf, daneben war die Un­zufriedenheit der Bauern durch die schlechte Ernte gesteigert, so daß auch sie in diesem Jahr die Lasten doppelt schwer empfanden 22s). Die Regierung, bewußt des Niederganges ihrer Popularität im Volke, setzte nun vor dem herbstlichen Zusammentritt der Skupstina alle Hebel in Bewegung, um sich eine sichere Mehrheit zu verschaffen 226). Trotzdem brach auf dieser Skupstina der Sturm mit solcher Heftigkeit los, daß der Urheber der patentarina, Finanzminister Jovanovic, sofort zurücktreten mußte und „alle Ministersitze ins Wanken kamen — es ist ein wahres Erdbeben“, wie einer der oppositionellen Abgeordneten spottete. Die übrigen Mitglieder der Regierung fühlten sich so gefährdet, daß sie den halbkranken Ristic aus Belgrad nach Nis, wo die Skupstina tagte, herbeiriefen. Es vergingen kaum 8 Tage und Ristic hatte das Wunder vollbracht — die außer Rand und Band geratene Skupstina war wieder ruhig und regierungstreu 227). Parla­mentarische Erfolge dieser Art waren lediglich seiner Persönlichkeit zuzu­12*

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