Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 129 i. Der österreichisch-ungarische Partner. Serbien war ein Staat im Werden ... Schritt um Schritt ging es bei dem Ausbau seines Staates vor, Stück um Stück riß es vom türkischen Körper los. Es war nur die Frage, welches Ziel diesem Staate vorschwebte — die Schweiz oder Piemont. Im Zeitalter des Nationalismus fühlte sich Kleinserbien als das Piemont des Balkans. San Stefano war in dieser Entwicklung ein Schritt vorwärts; er brachte die Selbständigkeit des Kernes. Die Enttäuschung über diesen Frieden wurzelte nicht so sehr in der territorialen Benachteiligung, sondern in der Tatsache, daß ein neuer slavischer, dazu auch noch viel größerer Nationalstaat (Großbulgarien) entstanden war1). Nichts hatten die Bulgaren bisher geleistet, um den Serben den Anspruch auf die führende Rolle im südslavischen Raum streitig zu machen. Seit dem Anfang des XIX. Jahrhunderts hatten der Kampf um den Staat und die wissenschaftliche Forschung den Serben diesen Vorrang jedoch zugewiesen, und im ihrem Geiste Vuk Stefanovic Karadic schon 1836 die Theorie auf gestellt: „Serben alle und überall“ (Srbi svi i svuda), mit der er alle Slaven zwischen Istrien und Makedonien zu Serben stempelte2). Ein österreichisches Eingreifen und den serbischen Wünschen Entgegenkommen war unter diesen Verhältnissen schon äußerst schwer, denn Österreich sollte ja mehr als Rußland bieten können. Welche Möglichkeiten bestanden nun für Österreich in dieser Hinsicht? Der Streit der verschiedenen Völker innerhalb der Monarchie um die staatliche Neuordnung hatte seine vorläufige Lösung im Ausgleich von 1867 gefunden. Die zwei stärksten Völker, Deutsche und Magyaren, teilten sich die Herrschaft 'über den Staat. Beide hatten unter sich eine Reihe von Kleinvölkern oder Völkersplittern, und befanden sich zahlenmäßig diesen gegenüber in der Minderheit. Während es in der ungarischen Reichshälfte gelang, den nationalen Kampf durch parlamentarische Kniffe erstarren zu lassen, bemühte sich die österreichische Hälfte auch nach diesem Zeitpunkte, im verkleinerten Rahmen die Lösung des nationalen Problems zu erreichen. Aber auch jetzt wieder stand das historische Recht der österreichischen Völker gegen das natürliche. Dazu kam noch die Inkonsequenz, die der Nationalismus in diesen Prozeß hineinbrachte. Denn der Tscheche, der daheim das historische Staatsrecht vertrat, unterstützte gegen den Deutschen den Slovenen, obwohl dieser die nationale Autonomie verlangte, und umgekehrt, der alpenländische Deutsche unterstützte den autonomistischen Sudetendeutschen, obwohl er an der historischen Individualität seiner Kronländer nicht rütteln ließ. Auch die größere Zahl konnte hier keine Entscheidung bringen, da die zahlenmäßig Stärkeren — die Slaven, sozial schwächer und demgemäß im Abgeordnetenhaus nicht ihrer Zahl entsprechend vertreten waren. So war eine parlamentarische Lösung der nationalen Frage mit einfachen MajoriMitteilungen, Band 5 9